RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Sein Kuss war heiß, fordernd und zugleich so verzweifelt, als hätte er Angst, dass ich ihm entgleiten könnte. Für einen Moment vergaß ich alles – meine Zweifel, meinen Stolz, sogar die Welt um uns. Es gab nur ihn, seine Berührung, die Wärme seiner Lippen an meinem Hals, an meiner Schulter. Meine Hände fanden seinen Nacken, hielten ihn fest, als könnte ich ihn so daran hindern, jemals wieder zu verschwinden.
Doch dann zog er sich zurück. Seine Augen suchten meine, seine Stimme klang wie eine Warnung, eine flehende Bitte, die ich nicht verstand. Seine Sprache blieb mir fremd, aber ich sah es in seinem Blick, in seinen Gesten: Er wollte fort. Fort von hier, fort von mir.
Ich schüttelte den Kopf. "Nein," sagte ich leise, obwohl ich wusste, dass er meine Worte nicht verstehen würde. "Ich lasse dich nicht allein."
Er hob die Hände, versuchte mit Bewegungen und Ausdrücken zu erklären, dass ich bleiben sollte. Er zeigte in die Ferne, sprach von Gefahren – das konnte ich in seinem Gesicht lesen. Doch was er nicht begriff, war, dass ich lieber sterben würde, als ihn ziehen zu lassen.
Ich trat näher, legte eine Hand auf seine Brust. Sein Herz schlug schnell, genau wie meines. "Wenn du gehst," sagte ich und sah ihm tief in die Augen, "dann gehe ich mit dir. Ob du es willst oder nicht."
Bevor er widersprechen konnte, nahm ich seine Hand und zeigte auf mein Pferd, dann auf uns beide, und schließlich in die Richtung, die er zuvor angedeutet hatte. "Zusammen," sagte ich. "Ich komme mit dir."
Ich stieg auf mein Pferd und streckte ihm die Hand hin. "Komm," sagte ich mit einem Lächeln, das meine Entschlossenheit unterstrich. "Wir reiten."
Wir ritten davon, fort von meinem Volk, fort von allem, was ich je gekannt hatte. Allerdings nicht nach Osten – dorthin würde man Suibhne zuerst suchen, sobald sein Verschwinden bemerkt wurde.
Wir ritten viele Stunden und mieden jedes Dorf, in dem man mich hätte erkennen können. Nach einigen Tagen, weit weg von meinem Zuhause, wagten wir es schließlich, in ein kleines Dorf zu reiten. Niemand kannte mich hier, und das war gut so.
Der Schmied war ein kräftiger Mann mit rußgeschwärzten Händen. Er musterte uns, seine Augen waren wachsam, aber schließlich nickte er, als ich ihn bat, Suibhne von seinem Halsring zu befreien. Er griff zu seinen Werkzeugen. Die Hammerschläge hallten durch die Schmiede, jeder Schlag war wie eine Befreiung. Als der Ring endlich zerbrach und zu Boden fiel, sah ich Suibhne an und küsste ihn. Der eiserne Beweis seiner Sklaverei war verschwunden, und mit ihm ein Teil seiner Vergangenheit.
Danach ritten wir weiter in die Berge, bis die Wege schmaler wurden und die Welt um uns stiller. Dort fanden wir sie: eine verlassene Hütte, halb verborgen zwischen hohen Bäumen und dichtem Gebüsch. Das Dach war beschädigt, die Wände grob, aber es war ein Zufluchtsort – unser Zufluchtsort.
In den nächsten Tagen richteten wir uns ein. Ich sammelte Holz und Reisig und wir lickten die Löcher im Dach damit. Zusammen gingen wir auf die Jagd und sammelten Beeren. An den Abenden saßen wir gemeinsam am Feuer. Ich lehrte ihn meine Sprache und bemühte mich, seine zu verstehen.
Die Tage wurden zu Wochen, die Wochen zu Monaten. Wir lebten wie Mann und Frau, teilten alles: das Bett, die Mahlzeiten, das Lachen – manchmal auch die Stille. Eines Morgens jedoch wachte ich mit einem Gefühl auf, das ich kaum beschreiben konnte. Eine Veränderung, tief in mir. Meine Blutung war schon mehrere Wochen ausgeblieben. Ich legte eine Hand auf meinen Bauch und schloss die Augen. Es war da – ein neues Leben wuchs in mir heran.
Von Woche zu Woche spürte ich mehr, wie sich mein Körper veränderte. Ich hielt das Glück lange für mich, doch eines Nachts, als wir nebeneinander auf unserem Lager lagen, konnte ich nicht mehr schweigen.
"Saturnus," flüsterte ich und drehte mich zu ihm. Ich nahm seine Hand und legte sie behutsam auf meinen Bauch. "Ich erwarte ein Kind, Dein Kind," sagte ich leise.
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