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[Iscalis nach Londinium] Der Gefangene des Winters
Vor 10 Stunden,
Beitrag #4
RE: [Iscalis nach Londinium] Der Gefangene des Winters
Plötzlich hielt der Karren an. Waren wir etwa schon in Londinium? Nein, das war unmöglich. Wir waren noch nicht lange genug unterwegs, um dort zu sein. Doch ich hatte kein Interesse, den Kopf zu heben und nachzusehen, warum der Wagen zum Stehen gekommen war. Meine Glieder fühlten sich an, als gehörten sie nicht mehr zu mir – schwer, taub, leblos.
Dann drang die Stimme des Furius an mein Ohr, wie gewohnt hart und befehlend.
Ein einziges Wort blieb in meinem Kopf hängen, und ich wiederholte es. Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern: "Decken." Ein bitteres Lächeln zuckte über meine Lippen, so flüchtig wie der letzte Atemzug eines Sterbenden.

Wenig später öffnete sich der Käfig. Einer seiner Männer warf mir ein paar Decken zu. Meine Finger griffen nach dem groben Stoff, die Bewegung mehr Instinkt als Wille. Der Überlebensdrang, der sich an die schwächsten Funken klammerte, war noch nicht erloschen.
Ich wusste, warum er das tat. Es ging nicht um Gnade. Er wollte mich am Leben halten, damit ich vor den Statthalter gezerrt werden konnte – ein Schauspiel, das mit meinem Tod enden würde.

Als der Römer schließlich an das Gitter meines Käfigs trat und mich fragte, wer nachlässig gewesen sei, als ich meinen römischen Namen bekommen hatte, beschlich mich ein ungutes Gefühl. War ich so tdumm gewesen, meine Gedanken laut auszusprechen? Hatte die Kälte meinen Verstand betäubt und meine Zunge verräterisch gemacht?
Ich blickte erschöpft und widerwillig auf. Er hielt mir eine Kelle mit dampfendem Wein entgegen, die er leicht schräg neigte. Ich trank und das heiße Getränk brannte in meiner Kehle und brachte ein flüchtiges Gefühl von Leben zurück.

"Meine Mutter nannte mich Alun," begann ich, meine Stimme rau und tonlos. "Es bedeutet kleiner Fels. Doch für sie war ich nie ein Halt. Ich war das, was sie an das Leben kettete, obwohl sie längst keinen Mut mehr dazu hatte."
Ich zog die Decke enger um mich, spürte, wie die Kälte langsam zurückwich. "Sie war eine der jungfräulichen Priesterinnen von Mona. Doch die Römer... einer von euch..." Meine Worte stockten, denn der Kloß in meiner Kehle schnürte mir den Atem ab. "Er nahm ihr alles. Ihre Jungfräulichkeit. Ihren Glauben. Ihre Würde und ihren Mut. Und mich setzte er ihr als Fluch in ihren Leib. Danach ritzte er seine Initialen in ihren Rücken."

Mein Kopf sank wieder gegen das kalte Eisen. "Als ich sieben war, ging sie. Sie stürzte sich von einem Felsen hinunter ins Meer, und ich blieb. Warum ich noch da war, habe ich nie verstanden, wenn sie es nicht sein konnte."
Die Worte wurden leiser, fast nur noch für mich selbst. "All die anderen, die aus der Schande heraus geboren worden waren, wurden von ihren Müttern geopfert... direkt nach der Geburt.  Aber nicht mich. Doch meine Mutter rang mir ein Versprechen ab, bevor sie starb. Ich sollte sie rächen!"
Ich trank erneut von dem heißen Wein und ließ die Wärme meine Kehle hinabfließen. "Nach ihrem Tod nahm mich ein überlebender Druide auf. Er lehrte mich alles: Schreiben, Lesen, Latein. Er lehrte mich alles, was ich über euch wissen musste. Er zeigte mir, wie ich euch durchschauen konnte, wie ich euch schaden konnte. Er gab mir meinen römischen Namen. Der Name eines toten Jungen. Der Sohn einer keltischen Mutter und eines römischen Vaters. Beide waren tot."
Ich hielt inne, sammelte meine brüchige Stimme. "Er schickte mich zu meiner vermeintlichen Tante in Londinium, die mit einem Römer verheiratet war. Aber offensichtlich er hat es nie für nötig gehalten, die Urkunden in Calleva richtig zu fälschen. Oder vielleicht war es Absicht."
Meine leeren kalten Augen wanderten zu Furius Saturninus. "Was denkst du, Römer? War es Nachlässigkeit oder Berechnung?"
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Als "Lucius Tarutius Corvus"
[Bild: 1_22_10_22_8_56_52.png]
Falke
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