RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Saturninus war als Hundeführer auf der Jagd dabei. Es war ein herrlicher Tag, der ihn an Freiheit gemahnte, die Luft war klar und die Vorboten des Herbstes lagen darin, und der Geruch von Eichenwäldern wehte zu ihm hin. Es war ein Tag, den er unter anderen Umständen sehr genossen hatte. Die Hunde waren jedoch aufgeregt, und er hatte alle Hände voll zu tun. Nur kurz sah er die Königin, sie trug Hosen und ritt wie eine Amazone, erst vorneweg und dann hinter den anderen Jägern.
Einer seiner Wolfshunde fiebte kurz auf, aber das genügte, dass Sarurninus sofort nach ihm sah. Eine heimtückische Dorne hatte das treue Tier an der Pfote verletzt. Während Saturninus die Wunde sogleich behandelte, fiel auch er zurück. Die Stimmen, das Lachen und der Jagdgesellschaft und das Bellen ihrer Hunde entfernten sich allmählich.
Die Wunde des Hundes war nicht so tief, wie Saturninus geglaubt hatte, als er das Blut weggewischt und damit sie sich nicht entzündete, kurzerhand darauf uriniert hatte. Dann folgte er dem Jagdlärm, um sich der Gesellschaft wieder anzuschließen. Am Rande eines Eichenwäldchens, welches sich an einen silbernen See anschloss, erblickte der Römer plötzlich ein angebundenes Pferd. Ein prächtiger Bogen und ein Köcher voller Pfeile hingen am ebenso prunkvollen Sattel, und Saturninus wusste sogleich, wem dieses Jagdgeschirr gehören musste, denn die Waffen und der Sattel waren zwar wertvoll, jedoch zierlicher und feiner als für einen Mann gearbeitet. Das hier musste das Jagdpferd der Königin selbst sein.
Vorsichtig nahm Saturninus Bogen und Pfeile ab. Der Bogen lag gut in seiner Hand, und er verstand sich seit Kindertagen darauf, mit dieser Waffe auch umzugehen.
Der Römer legte einen Pfeil an, und trat ein paar Schritte weiter in den Wald, in die Richtung, aus der er einen Bach rauschen hörte. Und ja, SIE war es, Niamh Ni Conchibar, die Keltenkönigin, deren Volk Britannien erobert hatte, der das alles gehörte, denn sie war dort. Es wäre so leicht gewesen, sie zu töten. Sie kniete mit dem Rücken zu ihm und trank von dem frischen Wasser. Und sie war ein Feind. Clementia, die römische Tugend, Milde dem Feind gegenüber, galt nur für die, die sich unterwarfen, nicht wenn man sich im Krieg gegenüberstand. Es war mehr, es wäre geradezu Pflicht des jungen Patriziers gewesen, sie zu töten, wenn er die Gelegenheit hatte.
Da aber richtete sich Königin Niamh auf und drehte sich um. Auf ihrem schönen Gesicht lag mehr Erstaunen als Erschrecken, fand Saturninus, ein stummes, herzzerreißendes Staunen. Er stellte sich vor, wie die junge Frau blutüberströmt zusammenbrechen würde, wenn er nun schoß. Er würde nicht fehlgehen. Er würde der Patria einen großen Dienst erweisen.
Saturninus zögerte dennoch. Er hätte die Augen schließen und den Pfeil losschnellen lassen können, aber etwas lähmte seinen Arm. Je länger er auf die Frau schaute, desto weniger war er fähig, sie zu töten. Hätte sie ihn angegriffen, hätte er sofort geschossen. Aber sie stand nur da und schaute ihn an:
"Königin, du wirst verstehen, dass ich nun gehen muss", sprach Saturninus schließlich mit fast sanfter Stimme:
"Ich nehme mir dein Pferd und deine Waffen. Aber du sollst leben. Und lebe wohl"
Er senkte den Bogen so weit, dass er nicht mehr auf Niamhs Brust zielte und ging dann rückwärts zum Pferd der Keltenkönigin zurück. Er schalt sich einen Idioten, zu weich, was ihm sein Vater vorgeworfen und mit Prügel hatte austreiben wollen. Aber Tiberius Furius Saturninus konnte nicht anders handeln in jenem verstrichenen Moment. Eine geheimnisvolle Macht, eine große Gemütsbewegung hatte seine Hand zurückgehalten.
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