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Eine Reise über hundertsechsundvierzig römische Meilen war es nach Londinium, wenn man sich in Spinis oder Calleva ausruhen und Vorräte auffrischen musste. Der Gefangene war in einem Käfig auf einem Ochsenkarren untergebracht, Proviant und Tierfutter und sonstige Habe fuhren auf einem zweiten mit. Die vier Ochsen waren stark und gutmütig, und da der Konvoi mit dem Aufbruch gewartet hatten, bis es tüchtig kalt und der Boden gefroren war, kamen sie auch voran, ohne irgendwo im britannischen Schlamm stecken zu bleiben. Aber wie es diese Tiere zu sein pflegten - sie waren langsam. Und die Esel passten sich ihnen an. Die Reisezeit würde mindestens vierzehn Tage betragen. Der Tross wurde von zehn Amtsmänner zu Pferd, die teilweise bewaffnet waren und der gleichen Anzahl kräftiger Furiersklaven, die Knüppel dabei hatten, komplettiert, sowie fünf Ersatzpferde, die sich abwechseln mussten. Princeps Officii Furius Saturninus, dessen Laune ebenso frostig war wie das Wetter und der alles aus seinem Privatsäckel bezahlte, führte sie an. Dabei hatten sie Glück, dass gerade trockene Kälte vorherrschte. Würde es Niederschlag geben, würde es gleich anfangen, zu schneien und sie gar nicht mehr vorwärtskommen.
Valentinus lenkte sein Pferd neben Saturninus. Der überflog noch einmal den Brief, der ihm Pertax geschrieben hatte:
Princeps Praetorii Lucius Petilinius Pertax sendet Grüße
Wie du sicher weißt, sind Gerichtstermine rar und ich kann nicht nach Belieben solche vergeben. Der nächste freie Termin, den ich für dich reservieren konnte, ist zwei Tage vor den Agonalium des Ianus im Januar. Ich habe es so arrangiert, dass du deinen Fall am frühen Morgen dem Statthalter vorlegen kannst, woraufhin er entscheiden wird, ob eine Verhandlung stattfinden wird. Falls er es so entscheidet, werde ich versuchen, einen Termin hierfür noch vor den Paganalia zu finden.
Lucius Petilius Rufus hasst es, wenn er bereits bei einer ersten Anhörung mit Anträgen oder gar Zeugen überhäuft wird, also halte deinen Fall kompakt. Sollte es zu einer Verhandlung vor der Provinzialversammlung kommen, kannst du ausschweifend werden, aber nicht vor dem Statthalter.
Ich hoffe, der Bote wird nicht zu sehr durch das Wetter behindert, so dass du noch genügend Zeit für deine Anreise hast.
Vale
Lucius Petilinius Pertax.
P.S. Deine Cousine übersendet ebenfalls Grüße
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Der Brief war nicht gerade überschwenglich. Bassa schrieb ihm ja auch in ihrer sorgfältigen Kinderschrift. Sie schien sehr zufrieden zu sein. Pertax sollte es auch sein, sie war schließlich eine Furia und das war mehr, als er erhoffen konnte. Sie war zwar dumm wie Brot, aber sie würde ihm gesunde Kinder schenken, und das war doch die Hauptsache. Nach den Kindern konnte er sich wieder scheiden lassen; auf jeden Fall wäre Saturninus dann noch über Pertax Kinder mit ihm verbunden. Auf den Gedanken, dass er Bassa zur Bluttransfusion herumreichte wie ein willenloses Wesen, kam Saturninus gar nicht. Sein Mündel war ihm gleich, solange es ihm keine Schande machte.
Zumindest gab Pertax gute Hinweise, wie er, Saturninus, die Geduld des Legaten Augusti beim ersten reservierten Gerichtstermin nicht überstrapazierte. Petilius Rufus würde entscheiden, ob die Volksversammlung Gericht über den Angeklagten hielt und dann nur noch das Todesurteil unterschreiben. Daher hatte Saturninus erst einmal nur
Valentinus und die beglaubigten Abschriften aus Calleva mitgenommen, die bewiesen, dass dieser Tarutius Corvus nicht der echte Tarutius Corvus war.
Aber auch Saturninus ging ein Risiko ein. Gesetzt den Fall, dass der Statthalter zu einer ganz anderen Schlussfolgerung käme, könnte Corvus ihn widerrum wegen widerrechtlichem Festsetzen und Folter eines römischen Bürgers verklagen. Daher musste sich der Ankläger seiner Sache gewiss und die Angelegenheit ihm auch wichtig genug sein.
"Kann es sein, dass der Name Tarutius Corvus Unglück bringt?", fragte der Furius halblaut, sprach aber mehr zu sich selbst als zu jemandem anderem. Der erste dieses Namens war ein Toter, und derjenige, der ihn gestohlen hatte, würde es vielleicht auch bald sein.
Der Furius begegnete Valentinus Blick unter der weit ins Gesicht vorgeschobenen Kapuze. Der junge Mann zitterte vor Kälte, aber hob die Dokumentenmappe, die ihm anvertraut war, ein Stück, als wolle er damit eine Antwort geben.
Saturninus lenkte wie die vergangenen Tage so oft sein Pferd an den vergitterten Wagen und warf einen Blick auf seinen Gefangenen. Ihm musste kalt sein. Er sollte nicht erfrieren, er sollte leben! Sonst wäre das hier alles umsonst. Das römische Recht verurteilte keine Toten.
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