RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Nein, diese Herrscherin über die Hibernier, welche Britannien erobert und unter den römischen Provinzbewohnern gehaust hatten wie Furien, hatte nichts mit seinem sanften Mädchen Nivis gemeinsam. Außerdem war Nivis (hoffentlich in Sicherheit?) im fernen Iscalis geblieben. Und sie sprach Latein. Königin Niamh Ni Conchibar jedoch war hochmütig und aus ihren blauen Augen blitzte der unbändige Stolz der Siegerin. Und sie bediente sich eines Dolmetschers, um ihn, Saturninus, nach seinem Namen zu fragen.
Er hob den Kopf - er musste ihn schräg legen, denn eines seiner Augen war zugeschwollen, aber er wollte der Königin ins Gesicht blicken. Wieder stach ihm ihre Ähnlichkeit mit Nivis ins Herz. Sie war es nicht, konnte es nicht sein. Sie kannte ihn nicht einmal. Saturninus Hoffnung verflog so rasch wie sie aufgekeimt war. Die verblüffende Ähnlichkeit der Königin mit seiner Nivis war nur eine grausame Laune der Götter.
"Ich bin Tiberius Furius Saturninus, Laticlavtribun des Römischen Reiches, Königin", erwiderte er akzentuiert, und das Wort Königin betonte er mit leisem Spott. Eine Königin - regina - war für ihn eine Barbarenherrscherin, nicht besser als eine Häuptlingsfrau. Ein römischer Bürger stand in jeder Hinsicht über ihr. Wenn Rom überhaupt noch existierte! Ein halbes Jahrtausend lang hatte die Wölfin unangefochten die Welt beherrscht. Nun war die erste Provinz gefallen, was würde folgen?
Mochte die Hibernerkönigin den aufmüpfigen Sklaven erschlagen lassen, er, Saturninus würde sich nicht beugen. Aber sein eigener Hochmut war dennoch schwächer als das Gefühl unbändiger Sehnsucht in ihm: Nivis zartes Kinn, ihr langes Haar, ihre delikate weiße Haut, die Königin glich ihr so sehr, doch in ihr war nichts von Nivis Liebe, ihrer so reinen, vertrauensvollen Liebe. Welch ihm übel gesonnenener Gott quälte ihn mit dieser frappierenden Ähnlichkeit?
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