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Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
12-18-2024, 08:25 PM,
Beitrag #18
RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum
Als Ciaran mir widersprach und weiter sein Gift versprühte, presste ich die Lippen zusammen, und meine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich war inzwischen aufgestanden und wollte ihm entgegenschreien, dass ich nie meinem alten Leben nachgejammert hatte und dass ich mich Saturninus nicht als Sklavin angeboten hatte. Ich war bei ihm, weil ich ihn liebte! Er hatte mich aus höchster Not gerettet und befreit. Doch Mo rúnsearc ergriff das Wort und begann, sich selbst und auch mich zu verteidigen. Zumindest begann er damit, verstummte dann aber plötzlich. Ich fragte mich noch, warum er nicht weitersprach, wurde jedoch von Ciarans seltsamem Gebaren überrascht. Er faselte etwas von einem Geschenk, klatschte in die Hände und blies uns etwas entgegen. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Meine Augen weiteten sich für einen Moment, als ich spürte, dass etwas mit mir geschah. Gerade noch konnten meine Lippen einige Worte formen:

"Was hast du getan?"

fragte Diarmait mich, als sie ihn holten und fortbrachten. Ich sah ihn mit eisiger Miene an und schwieg, während die Männer, die ihm einst gefolgt waren, ihn zu Mog Ruith, dem großen Druiden von Muma, schleppten.

Diarmait hatte den alten König getötet und all jene, die treu zu ihm gestanden hatten, denn er hatte selbst nach der Königswürde von Laigin gestrebt. Meine ganze Familie war ihm zum Opfer gefallen. Bevor ich fliehen konnte, geriet ich in die Hände seiner Männer. Doch Diarmait tötete mich nicht. Er sah in mir eine Möglichkeit, all jene auf seine Seite zu ziehen, die einst meinem Vater ergeben gewesen waren, indem er mich zur Frau nahm. Nachdem ich öffentlich erklärt hatte, dass mein Vater ein Verräter gewesen sei, machte er mich zu seiner Königin, indem er mich vor den Augen aller nahm. Neun Monate später gebar ich ihm seinen ersten Sohn. 
 Ich gaukelte ihm Gefühle vor, die ich jedoch nicht für ihn hegte. Jedes meiner Worte und jede meiner Gesten waren eine Lüge. Ich hasste den Mörder meines Vaters aus tiefstem Herzen.

In seinem vierten Jahr als König – ich hatte ihm gerade seinen zweiten Sohn geschenkt – begehrte das Volk auf. Die Menschen litten unter einer Hungersnot, denn die Ernte war bereits zum zweiten Mal ausgefallen. Ich nutzte die Situation aus und ließ unter den Leuten verbreiten, dass die Götter nach einem Opfer verlangten – einem Königsopfer! Der König war der Erste seines Landes und somit sein höchstes Gut. Welches Opfer wäre wohl wertvoller als der König selbst? Auch Mog Ruith hatte ich davon überzeugen können. Er zögerte nicht lange und überließ dem Moor  den König, damit sich die Götter an seinem Blut und seinen Knochen laben konnten.

Da ich die Mutter seiner Söhne war, machten Diarmaits Krieger mich zur neuen Königin. Durch den alten Druiden war mir auch der Segen der Götter sicher. Da ich nicht nach Macht strebte, sondern das Wohlergehen meines Volkes an erste Stelle setzte, erfreute ich mich großer Beliebtheit. Die Zeiten wurden besser, und gemeinsam mit den anderen Königen Eires beschlossen wir, Schiffe gen Osten zu schicken. Schon immer hatten Abenteurer aus Eire nach Prydein** übergesetzt, um dort Sklaven zu nehmen. Doch diesmal segelten große Schiffe nach Prydein – Schiffe, die viele Hundert Krieger fassen konnten. Ziel war es, die Rómhánach* von dort zu vertreiben und die Insel selbst in Besitz zu nehmen. 

Auch ich schickte meine besten Krieger, angeführt von Suileabhain, der einst mein Verlobter gewesen war. Ich hatte ihn sehr geliebt. Doch nachdem er Diarmait die Treue geschworen und eine andere zur Frau genommen hatte, waren meine Gefühle für ihn erkaltet. Er jedoch hoffte noch immer, ich würde ihn zu meinem Gemahl erwählen.

Viele Monate kämpften unsere Männer in der Fremde für Eires Ehre. Die Nachricht ihres Sieges eilte ihnen voraus, und als sie endlich mit ihrer Beute zurückkehrten, war das ganze Volk auf den Beinen und jubelte seinen Helden zu. Gold, Silber, edle Stoffe und seltsame Gegenstände aus den Häusern der Rómhánach brachten sie mit. Doch sie hatten auch Hunderte Sklaven erbeutet – zumeist Männer mit dunklen Haaren und Augen, die durch ihre leicht getönte Haut und einige durch ihre hochmütigen Blicke auffielen. In diesem Fall konnten Ketten oder Peitschen Abhilfe schaffen. Die Edelsten unter ihnen hatte man direkt nach Tara geschafft. Einige Tage später folgten schließlich Händler, die den Rest feilboten.

Suileabhain ließ es sich nicht nehmen, mich zu den Gefangenen zu führen. Meine Dienerinnen begleiteten mich. Ich trug eines meiner feineren Gewänder, dessen Stoff aus bester Wolle gewebt und gewalkt worden war. Ein Wolfspelz lag um meine Schultern und um meinem Hals trug ich einen schweren goldenen Torques, der ein Zeichen meiner Macht darstellte.
Wie üblich sprach Suileabhain in seinem selbstsicheren Tonfall und schilderte mir seine Kriegserlebnisse mit blumigen Worten. Als wir uns den Käfigen mit den Gefangenen näherten, wehte mir bereits ein übler Geruch von Schweiß, Erbrochenem und Exkrementen entgegen, der meine Nase beleidigte.
"Schau dir diese Beute an, Königin Niamh. Die Götter selbst hätten sich keine besseren Gefangenen wünschen können", prahlte Suileabhain und deutete auf einen Haufen nackter verschmutzter Gestalten, die wie Tiere in einem Pferch aus Flechtwerk eingesperrt worden waren und aneinander gekettet auf dem Boden hockten. 
Ich ignorierte seine Worte und ließ meinen Blick über die Gefangenen schweifen. Hauptsächlich waren es Männer, doch auch einige Frauen fanden sich unter ihnen. Doch dann fiel mein Blick auf einen Mann, der sich scheinbar aus der Masse abhob. Er stand auf einem Podest. Einer Händler hatte ihm im Nacken gepackt, damit man ihn begutachten konnte. Sein Gesicht und auch sein Körper waren von Schmutz bedeckt. Er erinnerte in diesem Moment mehr an ein Häufchen Elend, als an einen stolzen übermütigen Rómhánach. Die Sonne glitt über sein dunkles Haar  als der Händler ihn wieder losließ.Nun stand er wieder aufrecht, obwohl die Ketten seine Arme herabzogen und sein Blick strahlten Trotz und Stärke aus.Dies war kein gefügiger Sklave, kein gebrochener Geist.[/i]
"Wer ist das?" fragte ich, ohne Suileabhain anzusehen, denn der Gefangene machte den Eindruck eines Anführers.
"Nur ein gewöhnlicher römischer Hund, der noch lernen muss, wer nun sein Herr ist," antwortete er mit unverhohlenem Stolz. "Er gehörte zu einer Einheit, die wir zerschlagen haben. Dieser hier war besonders widerspenstig. Doch die Peitsche wird ihn Demut lehren."
Ich nickte nur langsam. "Gwen!" Meine Dienerin, die einige Schritte hinter mir stand, trat näher. Sie stammte selbst ausPeydein und sprach genug Latein, um mit den Rómhánach zu kommunizieren. Für diese Gefangenen aber hatte sie nur Abscheu übrig. Ich hingegen konnte nicht erklären, was ich so anziehend an diesem einen Mann fand.
"Frag ihn nach seinem Namen", befahl ich ihr. Gwen zögerte und warf mir einen warnenden Blick zu.
"Herrin, diese Rómhánach … sie sind gefährlich. Hinterlistig. Sie lächeln dich an, und im nächsten Moment stechen sie dir ein Messer in deinem Rücken. Lass diesen Mann hier, wo er hingehört. Er wird dir nur Ärger bringen."

"Frag ihn nach seinem Namen," sagte ich, "und erkläre ihm, wen er vor sich hat," wiederholte ich schärfer. Widerwillig wandte sich Gwen dem Gefangenen zu und sprach in der Sprache der Rómhánach mit ihm: "Sklave, du hast die Aufmerksamkeit der edlen Niamh Ní Conchobar, Königin von Laigin, erregt. Sie fragt nach deinem Namen."
Ich verstand kein Wort, außer meinen eigenen Namen, den meine Dienerin dem Sklaven nannte.


*  Rómhánach = Römer
** Prydein = Britannien
[Bild: 1_29_07_23_5_35_37.png]
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RE: Beim alten Hügelgrab - ein Samhain-Nachttraum - von Furiana Nivis - 12-18-2024, 08:25 PM

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