RE: Hochzeit Caius Plautius Leander und Norbana Orestilla
Leander hielt sich selbst eigentlich für einen sehr höflichen Menschen. Aber gerade war er sich nicht sicher, wie viel vorsichtiger er noch sein sollte, damit Orbana sich endlich entspannte und nicht in jedes seiner Worte einen Vorwurf interpretierte, der gar nicht da war. “Es gibt keinen Grund, dich zu entschuldigen, und es gibt ebensowenig etwas zu verzeihen. Bitte, Orestilla, entspanne dich. Hier gibt es niemanden, der dich beurteilt.“ Zumindest nicht so, wie sie sich das vorstellte. Natürlich beurteilte Leander seine Braut und kam zu dem Urteil, dass sie einfach noch nicht so weit war. Aber das war nicht schlimm, denn sie hatten Zeit. Es musste nicht gleich heute alles perfekt sein.
Immerhin fing sie an, zu reden, wenn schon nicht zu essen, und offenbarte sehr romantische Vorstellungen. Leander unterbrach seine Mahlzeit und überlegte, was er da antworten sollte. “Meiner Erfahrung nach verwechseln sehr viele Menschen Lust, Bewunderung und Liebe miteinander. Man sieht jemanden und möchte ihm Nahe sein? Das ist meistens Lust. Unterstellen wir edle Motive, die keine Körperlichkeit beinhalten, sondern nur den Wunsch, diese Person kennenzulernen, dann ist das Bewunderung. Wird es begleitet von einem flatternden Gefühl in der Brust, ist es vielleicht auch Verliebtheit. Aber Liebe ist etwas vollkommen anderes, und das verstehen die meisten Menschen nicht. Echte Liebe existiert, aber sie erfordert Zeit. Zeit, den anderen kennen zu lernen und seinen Charakter zu ergründen. Zeit, festzustellen, in welchen Bereichen man tatsächlich harmoniert und was viel mehr eigentlich nur der eigenen Vorstellung wegen wahlweise Lust oder Bewunderung entsprach, der Realität aber nicht entspricht. Aber wenn man sich die Zeit gibt, den anderen wirklich kennen zu lernen, lernt man das zu lieben, was der andere wirklich ist, und wird im Gegenzug für die Person geliebt, die man selbst wirklich ist.“
Leander nahm seinen Teller wieder auf und fuhr fort, zu essen. “Nur fehlt es den meisten Menschen dafür an der nötigen Geduld, und sie verharren stets auf der Stufe von Lust oder Bewunderung. Von daher verstehe ich deinen Traum, Orestilla, und ich hoffe aufrichtig, dass wir beide zu dem Punkt kommen, den du dir ersehnst. Allerdings meinte ich zuvor eher Träume im körperlichen Bereich. Dass du ein Bild oder so etwas von einer Praktik siehst oder hörst, die du ausprobieren möchtest, oder eine Phantasie, an die du denkst, wenn du dich selbst befriedigst.“
Leander hielt kurz in seiner Mahlzeit inne, als ihm ein erschreckender Gedanke kam, und mit leicht gerunzelter Stirn fragte er in diesem Fall doch nach. “Du befriedigst dich doch selbst?“ Bei all den anderen Dingen, die er heute Abend über Orestilla erfahren hatte, war dies keine Selbstverständlichkeit.
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