RE: Empfang der Verlobten
Als Leander auf meine zögerliche Antwort hin einfach aufstand, fühlte ich eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Verwirrung. Einerseits war ich froh, dass er mich nicht wirklich küssen wollte – mein Herz pochte ohnehin schon bis zum Hals, und allein die Vorstellung hatte mich völlig aus der Fassung gebracht. Doch als er sich höflich abwandte und mir die Hand reichte, spürte ich auch einen winzigen Anflug von Enttäuschung, der mich selbst überraschte. Irgendwo, ganz tief in mir, war da doch die Neugier, wie es sich wohl anfühlen würde, von einem Mann geküsst zu werden. Es war diese Ungewissheit, die mich in den letzten Tagen öfter beschäftigt hatte, als ich es zugeben wollte. Aber wenn der Moment tatsächlich kam, war ich dann doch vollkommen überfordert und viel zu verunsichert.
Leander war so höflich und rücksichtsvoll, wie er mir half, von der Kline aufzustehen, und ich fühlte, wie meine Wangen immer noch leicht brannten. Seine Hand war warm und kräftig, doch er hielt sie mit einer leichten Distanz, als wollte er mir respektvoll Raum lassen. Ein kleiner Teil von mir fragte sich, ob ich ihn enttäuscht hatte, ein weiterer, ob ich selbst enttäuscht sein sollte. Vielleicht hatte er sich ein begeistertes Ja von mir gewünscht, doch ich hatte es ihm nicht geben können.
Dann, ganz sanft und mit einem ruhigen Blick, sagte er etwas, das mich innerlich aufrüttelte: Er hoffte, dass ich ihm eines Tages so weit vertrauen könnte, dass ich mich trauen würde, ihm auch ein Nein zu sagen, wenn ich etwas nicht wollte. Seine Worte waren ruhig, aber sie hinterließen einen starken Eindruck in mir. Ein Nein... die Möglichkeit, meine eigenen Grenzen zu setzen, selbst jetzt, wo er bald mein Ehemann sein würde? Wenn ich den Worten meiner Mutter Glauben schenken durfte, gab es ein solches Nein kaum. Sie hatte mich gelehrt, dass der Mann der Herr sei. Sein Wort sei Gesetz, und seinem Willen habe man zu gehorchen. Doch irgendwie beruhigte mich das, und ich lächelte schwach. Vielleicht wollte er mir auch nur zeigen, dass ich keine Angst vor ihm haben musste.
"Ich... äh... Es tut mir leid, ich werde mir Mühe geben, ehrlich zu sein, wenn ich mich bei etwas unwohl fühle," stammelte ich schließlich verlegen.
Nachdem diese seltsame Spannung sich etwas gelöst hatte, fragte er, ganz unverfänglich was ich gerne zuerst sehen wollte. Das brachte mich zurück ins Hier und Jetzt. Ich musste die Hände ineinander verschränken, um meine Unsicherheit loszuwerden, und war dankbar, dass wir uns nun ganz anderen Dingen zuwenden konnten.
"Ich würde gern zuerst die Wirtschaftsräume und die Culina sehen," sagte ich mit einem leichten Nicken. Das klang vielleicht banal, doch ich wollte mich mit den Räumen vertraut machen, die in Zukunft 'mein Reich' sein würden in denen und in denen ich mich wohl am meisten aufhalten würde, um das Haus in Ordnung zu halten und die Sklaven zu beaufsichtigen.
Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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