RE: Empfang der Verlobten
Ich beobachtete Leander, wie er sich von Morwen Brot, Schinken und ein Ei auf den Teller legen ließ und in kleinen Bissen zu essen begann. Da merkte ich, dass ich auch etwas essen könnte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob es Hunger oder Appetit war.
"Für mich bitte auch etwas Brot, Schinken und Käse", sagte ich zu der Sklavin, und während sie mir den Teller herrichtete, hörte ich Leanders Ansichten weiter zu. Seine Einstellung dazu war nüchtern und pragmatisch. Er schien keinen Wert auf die Zuneigung und Anerkennung anderer zu legen, sondern handelte aus einem inneren Antrieb heraus. Er war ein Mann, der seinen Wert nicht an der Meinung anderer maß, sondern an der Qualität seiner eigenen Arbeit.
"Ich verstehe", sagte ich schließlich leise, in meiner Stimme lag mehr Nachdenklichkeit als Zustimmung. "Für mich ist das nur ... schwer vorstellbar." Meine Augen suchten die seinen, als wollte ich herausfinden, ob er mich für naiv hielt. Mein Leben war so anders verlaufen. Als jüngstes Kind meiner Eltern war ich das Nesthäkchen der Familie gewesen. Da meine Geschwister viel älter waren, genoss ich oft die ungeteilte Aufmerksamkeit meiner Mutter. Sie hatte mich zwar streng und pflichtbewusst erzogen, immer darauf bedacht, mich auf meine Rolle als zukünftige Ehefrau eines angesehenen Mannes vorzubereiten. Aber hinter der Strenge verbarg sich auch Zuneigung. Die Wärme einer Mutter, die meine Bedürfnisse erkannte und darauf einging. Mein Vater, der oft abwesend war, schien mir immer seine Großzügigkeit und Nachsicht zu schenken, um mich für die versäumte gemeinsame Zeit zu entschädigen.
Als Leander schließlich von Seneca sprach, der sein Lebenswerk nicht mehr selbst vollenden konnte, fühlte ich ein leises Bedauern in mir aufsteigen. Der Gedanke, dass jemand im Alter sein Werk unvollendet hinterlassen musste, machte mich traurig. "Das ist bedauerlich. Aber du wirst sicher sein Vermächtnis vollenden", antwortete ich schließlich sanft.
Als Leander sich wieder dem Essen zuwandte, folgte ich seinem Beispiel und stellte fest, dass es eigentlich mehr Hunger als Appetit war, der mich zum Essen trieb. Der Käse und auch der Schinken waren sehr schmackhaft und das Brot rundete beides hervorragend ab. Dann fiel mein Blick auf die eingelegten Beeren. Ich liebe Süßes und fragte mich, ob es wohl sehr unverschämt war, wenn ich mir davon noch einige geben lassen würde.
Dann ging Leander auf meine Frage nach dem Hochzeitstermin ein und überraschte mich mit seiner Antwort. Offensichtlich hatte er erwartet, dass ich auf die Tradition des Webens einer tunica recta verzichten würde. Dabei war das Weben des Brautkleides der wichtigste Teil der Vorbereitungen - zumindest wenn es nach meiner Mutter ging. Aber aus Leanders Worten schloss ich, dass es ihm nicht viel bedeutete. Er wollte bald heiraten, und da würde mir nicht viel Zeit zum Weben bleiben. Meine Wangen röteten sich leicht und ich senkte kurz den Blick, bevor ich leise antwortete: "Ich werde wohl ein paar Monate dafür brauchen. Aber ..." Ich zögerte und sah dann zu ihm auf. "Wenn du bald heiraten willst, kann ich das auch darauf verzichten."
Die letzten Tage hatten mein Leben bereits völlig auf den Kopf gestellt. Nichts war mehr so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Warum also sollte ich jetzt noch auf einer tunica recta bestehen? Leanders nüchterne Sicht der Dinge ließ keinen Platz für romantische Traditionen oder Mädchenträume.
Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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