RE: Wohnung von Liciniana Aglaia
Ich hatte mich in Londinium gut eingelebt. Die Wohnung war nicht so luxuriös und protzig wie das Haus in Iscalis, dafür war dies hier ein anständiges Haus mit einem guten Ruf und ich eine untadelige, junge Dame, der nicht einmal der Hauch der Unehrenhaftigkeit nachhallte. Was natürlich nicht hieß, dass ich jetzt auch so langweilig war wie meine Rolle und alles vergessen hatte, was ich mein gesamtes Leben mühsam erlernt und mir Stück für Stück erarbeitet hatte. Dennoch gab ich keinen Anlass für Gerede und achtete darauf, dass niemand, der mich von früher kannte, mir mehr Beachtung schenkte, als von mir vorgesehen.
Und trotzdem freute ich mich wahnsinnig, Kiki wiederzusehen und fühlte mich ein klein wenig wehmütig. Ich ließ uns Häppchen bringen – als feine Dame musste ich jetzt Sklaven haben, um nicht aufzufallen, also arbeiteten bei mir zwei Männer und zwei Frauen, die aber sehr schnell mitbekommen hatten, dass ich keinen Wert auf die üblichen Standesunterschiede legte und sie, solange niemand da war, der beeindruckt werden wollte, sie so frei waren, wie jeder andere auch. Ich zahlte ihnen sogar angemessenen Lohn, so dass sie sich vermutlich in wenigen Jahren auch freikaufen konnten. Und sie dankten es mir mit vernünftiger Arbeit und keinen unangenehmen Fragen.
“Ich hab dir gesagt, dass er schwierig ist. Du hast doch mitbekommen, wie er war, als ich dann schwanger war und danach, die Sache mit Narcissus.“ Ich zuckte unschuldig mit den Schultern. Kiki hatte recht mit ihrer Einschätzung von Saturninus, und ich trauerte ihm auch nicht nach. Mich ärgerte nur, wie er mich behandelt hatte, das war alles.
“Überhaupt, wie geht es Narcissus?“ Bislang hatte ich noch nicht zu viel nachgefragt, bislang war unser Gespräch um die schwierigen Themen noch herumlaviert, ohne Schiffbruch zu erleiden. Ich wollte auch gar nicht zu viel nachbohren.
Kiki fragte glücklicherweise auch eher nach meinem neuen Leben. “Sehr gut, denke ich. Ich bin jetzt zufällig Marcus Pompeius Flavus mehrfach über den Weg gelaufen und er hat sich auch schon nach mir erkundigt. Er ist Witwer, gut situiert und… ganz angenehm.“ Ich hatte zumindest keinerlei Meldungen dazu, dass er irgendwie grob, grausam oder sonstwie ungeeignet wäre. Nein, alles in allem war er ein netter Mensch. Zu nett für eine große politische Karriere, die er seinen Brüdern überlassen hatte, aber geschäftstüchtig, von gutem Namen und mit wenig Gefahr, bald nach Rom gehen zu wollen. Dass er zwanzig Jahre älter war, als ich, störte mich genauso wenig wie die lange Narbe in seinem Gesicht, die von einem Vorfall in seiner Jugend herrührte, wo er einen Angriff auf ihn und seinen Bruder überlebt hatte. Viele Frauen schreckte das ab, aber für mich war es geradezu perfekt, da er sich über meine offene Zuwendung ihm gegenüber freute und ihn meine Fähigkeit, ihn genauso freundlich anzulächeln wie all die gutaussehenden anderen Männer, überraschte. Ich rechnete ehrlicherweise mit einer weiteren Annäherung in den nächsten Wochen und einem Heiratsantrag vor Ende des Jahres.
Ich wartete noch eine Weile, bis ich dann doch die Frage stellte, die mich ein wenig quälte, und die ich ganz beiläufig klingen lassen wollte. “Und Owen…?“ Ich wusste, dass Kiki mich durchschauen würde, trotzdem spielte ich nur leidlich interessiert. Aber nein, der Stachel war noch nicht verheilt, dass der einzige Mann, dem ich jemals meine Liebe geschenkt hatte, mich bei der erstbesten Gelegenheit so schamlos hintergangen hatte und mich am Tag der Geburt unserer Tochter verlassen hatte. Auch wenn er es gleich zurückgenommen hatte, aber Worte waren nun einmal wie Pfeile: Einmal ausgesandt, konnte man sie nicht wieder einfangen.
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