RE: [Kerker]
Ich saß in der spärlich beleuchteten Zelle, die nur wenig von dem Schrecken ausstrahlte, den ich von einem Kerker erwartet hatte. Das Tageslicht drang matt von oben herab, und obwohl ich eingesperrt war, fehlte dieser Zelle die trostlose Kälte eines Todesverlieses. Die Strohmatratze in der Ecke, der einfache Tisch – all das verlieh dem Raum eine merkwürdige Art von Bequemlichkeit. Doch es war eine trügerische Ruhe in der ich nicht lange verweilen wollte.
Vorerst jedoch verschaffte mir dieser Ort die Möglichkeit über alles nachzudenken. Meine nächsten Schritte mussten wohl überlegt sein. Doch letztendlich sagte ich mir immer wieder, dass mir nichts Schlimmes zustoßen konnte. Cathbad hatte damals dafür gesorgt, dass ich die Identität eines echten römischen Jungen annehmen konnte. Es hatten keine Papiere gefälscht werden müssen und niemand bestochen werden müssen. Tarutius Corvus war gestorben und durch mich wieder lebendig geworden.
Und dann kam Philus. Ich sah von meiner Matratze auf, als sich plötzlich die Tür öffnete und er darin erschien. Sein Auftreten war so vertraut wie immer, doch heute lag ein schweres Gewicht in der Luft. Als Philus die Wachen wegschickte und die Zellentür hinter sich schloss, fühlte ich, wie sich die Stimmung verdichtete. Wir waren allein. Philus war ein netter Kerl gewesen, mit dem ich stets gut zurechtgekommen war. Vielleicht weil er nicht so überheblich gewesen war, obwohl er Patrizier war. Aber genau das machte die Stille nur umso bedrückender.
Philus' Blick suchte den meinen. Ich spürte einen Hauch von Besorgnis in den Augen des Mannes, der mir bis vor wenigen Stunden ein Kollege gewesen war. Vielleicht war er das immer noch, auf irgendeine verdrehte Weise. Doch ich konnte sehen, dass Philus die Situation nicht verstand, nicht vollständig.
Er wollte wissen, was passiert war und drängte mich dazu, ihm zu sagen, dass es nur ein Mädchen gewesen war, weshalb ich gelogen hatte. Ein Mädchen? So einfach war es nicht. Wäre es das doch nur gewesen. Philus konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wen er vor sich hatte und worin ich verstrickt war. Er konnte es nicht wissen – und es war auch besser so.
Ich hielt Philus‘ Blick für einen Moment, dann ließ ich meinen in die Dunkelheit der Zelle gleiten. Ein Teil von mir wollte die einfache Lüge aussprechen, eine Geschichte über eine Liebschaft mit einem beinheimischen Mädchen erfinden, die meine verdammte Abwesenheit erklären könnte. Doch eine solche Lüge würde Furius Saturninus nicht genügen. Der Mann war nicht dumm, und ich wusste, dass er mehr herausfinden würde, wenn er nur lange genug graben ließ.
"Philus…" begann ich schließlich. Meine Stimme war leiser als sonst, die Erschöpfung und Anspannung hörbar. "Du glaubst wirklich, dass es nur ein Mädchen war?"
Ich sah ihn an, da er noch immer erwartungsvoll auf eine Antwort wartete. Es tat ihm fast leid, ihn in dieser Unwissenheit alleine zurückzulassen. Philus hatte nur versucht, mir zu helfen – vielleicht aus einer echten Freundschaft heraus. Doch es gab keine einfache Lösung für das, was sich jetzt entfaltete. Ich lehnte mich zurück und drückte meinen Rücken gegen die kalte Steinmauer. "Das hier ist größer als ein Mädchen. Größer als alles, was du glaubst, zu wissen."
Ich sprach nicht weiter, sondern ließ die Worte im Raum hängen. Ich wusste, dass ich nichts mehr sagen konnte, ohne mich endgültig zu verraten. Doch die Andeutung würde Philus beschäftigen, vielleicht sogar auf eine falsche Fährte führen. Ich musste Zeit gewinnen – Zeit, um einen Ausweg zu finden oder mich auf das Schlimmste vorzubereiten.
Als "Lucius Tarutius Corvus"
Falke
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