Hundert Jahre Einsamkeit: Am Rande des Brunnenfestes
Papa war schon eine ganze Weile fort. Er hatte mich einfach zurückgelassen. Ich war ganz allein!
Nun ja, das stimmte nicht ganz. Denn natürlich waren da ja noch die Sklaven. Wenigstens hatte er mir Nicander gelassen, nachdem er Cassia verkauft hatte. Nun war er mit seinem Schüler schon seit Wochen, ach was, seit Monaten fort und ich hatte schon lange kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Ich wusste gar nicht, ob er noch am Leben war, oder bereits längst im Elysium weilte. Jeden Tag betete ich zu den Göttern und opferte ihnen fast wöchentlich, dass er bald wieder wohlbehalten zu mir zurückkehrte. Bisher hatten sie mein Bitten und Flehen aber nicht erhört.
Hätte ich gewusst, dass ich hier versauern würde, wäre ich niemals freiwillig mit nach Britannien gekommen! Nun saß ich in diesem öden Kaff fest, dass Massilia nicht mal ansatzweise Weise das Wasser reichen konnte. Das schlimmste aber war, ich vermisste ganz fürchterlich meine Freundinnen. Natürlich schickte ich ihnen regelmäßig Briefe. Aber bis ihre Antwortbriefe hier eintrafen, vergingen oft viele Wochen.
Ich brauchte dringend ein paar neue Freundinnen! Eine gute Gelegenheit dazu erschien mir das Einweihungsfest für diesen Brunnen zu sein, den ein einheimischer Künstler - ein echter Barbar mit langen blonden Haaren – angefertigt hatte. Ich hatte mir Nicander geschnappt und ihm gesagt, dass er mich begleiten sollte.
Na ja, der Brunnen sah ganz hübsch aus und auch das Essen, welches es umsonst gab, schien lecker zu sein. Zumindest roch es gut. Aber neue Freundinnen schien es hier nicht an jeder Straßenecke zu geben. Mein Blick war zwar kurzfristig auf zwei jüngere Frauen gefallen, die allerhöchstens zwei oder vielleicht auch drei Jahre älter als ich waren. Die eine glich mehr einer Bohnenstange. mit der es Mutter Natur nicht ganz so gut gemeint hatte. Bei näherem Hinsehen merkte ich auch bald, dass die beiden nicht nur schon verheiratet waren, sondern bereits schon schwanger waren. Wahrscheinlich würden sie sich mit einem 'kleinen Mädchen' wie mir gar nicht abgeben wollen.
Dann hatte ich auch noch Cassia flüchtig gesehen. Sie hielt ein kleines Mädchen auf dem Arm und trug es die ganze Zeit mit sich herum. Sie schien sehr beschäftig zu sein. Offenbar war sie in einem guten Haus gelandet, mit einer freundlichen Herrschaft. Das freute mich für sie und machte mich auch gleichzeitig traurig. Ich wagte es nicht, sie anzusprechen, um zu vermeiden, dass ich hier vor allen Leuten auch noch losheulte, wie ein Kleinkind, dem man sein Spielzeug abgenommen hatte.
"Ach Nicander," seufzte ich schwer zu meinem Sklaven. "ich glaube, wir sollten wieder nach Hause gehen."
Eigentlich hätte ich noch etwas essen können. Die leckeren gebratenen Würstchen die es am Essensstand gab, rochen wirklich verführerisch. Aber irgendwie war mir der Hunger vergangen.
Vormund: C. Numonius Pusinnus, Duumvir von Iscalis (NSC)
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