RE: Haupttor
Die Reise zurück verlief sehr viel entspannter, als die Reise nach Norden. Was nicht nur daran lag, dass das Wetter jetzt allgemein trockener war. Auch wenn ich eigentlich ein sehr geselliger Mensch war und auf dem Weg auch in viel mehr Dörfern anhielt als auf dem Weg nach Norden, genoss ich gerade vor allen Dingen, dass ich für niemand anderen Sorgen musste, als für mich und meine zwei Pferde. Keine komischen Priesterinnen, keine selbstsüchtigen Brüder, nur ich. Das war eine geradezu bahnbrechende Erfahrung, denn bis vor einigen Monaten hatte ich mich einsam gefühlt, wenn ich allein war. Besonders, wenn ich von meinen Brüdern getrennt war. Aber nach den letzten Monaten? Calum hatte sich sehr verändert. Ich war mir nicht sicher, was ihn antrieb. Früher hätte ich gesagt, dass er einfach nur jemanden wollte, der ihn in den Arm nahm und ihm sagte, dass er gut so war, wie er war. Und meistens war dieser jemand eben ich gewesen. Aber bei unserer letzten Begegnung vor Cathbad? Ich hatte keine Ahnung, was da mit ihm los war, und ich war mir auch nicht sicher, ob ich ihm da noch helfen konnte. Das war nicht der Bruder, den ich kannte.
Und die anderen? Fintan hatte Alun irgendwie auf seine Seite gezogen und jetzt hatten beide wohl einen Sinn darin gefunden, mir Probleme zu machen und mich schlecht fühlen zu lassen. Ich hatte aber keine Lust mehr, mich schlecht zu fühlen für Dinge, für die ich nichts konnte, oder noch schlimmer, nur weil Fintan langweilig war. Ich war immer für Alun da gewesen, hatte ihn immer verteidigt gegen jeden, der ihn wegen seines römischen Auftretend blöd angemacht hatte, auch auf der Reise noch gegen Anwen, hatte mir seinen Liebeskummer angehört und ihm mit Rat und tat zur Seite gestanden, und wenn das nicht reichte, dass er wenigstens ein Mal auf meiner Seite war und mich verstand, dann sollte er mir doch den Buckel runterrutschen.
Wo wir gerade bei Anwen waren: Ich wusste immer noch nicht, warum sie mit nach Norden hatte kommen wollen. Manchmal dachte ich an ihren etwas seltsamen Versuch, mich zu verführen, mit viel hin und her und ja und nein auf einmal. Ich hatte keine Ahnung, was die Frau von mir gewollt hatte, aber ich verstand sie überhaupt gar nicht. Nicht, dass ich sonst alle Frauen immer super verstand, aber bei ihr war es noch etwas schlimmer als sonst.
Ein bisschen schade fand ich es, dass ich nicht wirklich Gelegenheit hatte, Rhian kennen zu lernen, aber soweit ich das mitbekommen hatte, wusste sie noch weniger von meiner Familie als ich selber, also worüber hätten wir reden sollen? Ich hätte sie nur noch mehr verwirrt, und das brauchte sie jetzt nicht. Das hätte alles nur komplizierter gemacht. Ich hoffte einfach, dass es ihr bei den Briganten gefiel.
Zusammengefasst konnte man also sagen, dass ich die Rückreise doch recht entspannend für mich war. Naja, bis vor etwa einer halben Stunde, als der Himmel angefangen hatte, sich zusammenzuziehen. Es war nicht mehr weit bis Iscalis, und ich wollte eigentlich durchreiten, aber dann fing es schon an, zu schütten und die Wolken sammelten sich weiter, und es war eine extrem schlechte Idee, bei Gewitter irgendwo draußen zu bleiben. Bevor mich der Blitz traf, wollte ich eine Möglichkeit für mich und meine Pferde, und das ganze schnell. Sonst konnte ich mich nämlich aufs Feld legen und beten.
Die einzige Option in der Nähe war ein ziemlich römisch wirkendes Gebäude. Im Normalfall wäre ich daran vorbeigeritten, aber Bettler durften nicht wählerisch sein, also gab ich meiner inzwischen ängstlichen Stute die Fersen und leitete sie auf den Weg, wo ein Tor den Zugang zum Haus versperrte.
“Ist jemand da?“ rief ich durch den Regen, während hinter mir schon Donner zu Grollen anfing. Ich hoffte, dass noch jemand da war und die Gastfreundschaft hier etwas wärmer war als das Wetter.
Falke
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