RE: Ein Schlüssel ist keine Magie
“Wunderbaum, nicht Maulbeere“, korrigierte ich noch immer leicht dahinlächelnd. Eigentlich hatte ich mir vor langer Zeit diesen Namen ausgesucht, weil er so schön einfach war, nicht wegen seiner Bedeutung. Wer benannte sich schon nach einem stark giftigen Strauch? Ich hätte auch nicht gedacht, dass irgendwer jemals die Bedeutung kennen würde. Aber egal, ein Name war so gut wie ein anderer, was mich betraf, und Hauptsache, die Claudia mochte mich und fand mich sympathisch, denn das war der Zweck dieser Übung.
Und dann kicherte ich, als sie meinte, sie könne ja schlecht in die Thermen, wenn da lauter nackte Männer wären. “Oh, warum nicht? Es sind ja nicht nur alte Männer da. Den ein oder anderen Mann beim Sport zu sehen, könnte ziemlich ästhetisch sein“, meinte ich mit einem kleinen Zwinkern. Ich hoffte, dass sie nicht ganz so schlimm verstockt war wie die alten Weiber, die über jede noch so kleine Abweichung von den Sitten die Nase rümpften. Aber hey, die olympischen Spiele wurden nackt ausgetragen, auf dem Sklavenmarkt waren die meisten Sklaven nackt, auf sämtlichen Wandmalereien, Vasen und sogar Öllampen sprangen einem nackte Menschen förmlich entgegen. Als wenn man in die Therme gehen müsste, um einen Penis zu sehen, wo die Kerle doch damit überall herumwedelten, als wären die Dinge wahre Wunder!
Sie fragte mich schließlich nach meinem Familienstand, und ich lächelte sehr unschuldig. Offensichtlich wusste sie nicht, wer und was ich war, aber das war durchaus von Vorteil, so hatte sie bestimmt auch noch nicht das Geschwätz soeben schon erwähnter vertrockneter Matronen erreicht, die sich für etwas besseres hielten.
“Oh nein, ich bin nicht verheiratet und habe es auch nicht vor. So ein Mann, so nützlich er auch sein mag in vielen Belangen, kann einem doch in genauso vielen Kummer bescheren. Ich bleibe also nur so lange bei einem Mann, wie er mir nützt und meine Gunst durch Geschenke aufrecht erhält. Ansonsten genieße ich meine Freiheit, mir einen Mann mit mehr Verstand und großzügigerem Wesen zu suchen.“ Denn genau das taten wir Hetären. Wir suchten uns einen oder zwei Verehrer aus, denen wir unsere Gunst schenkten, waren ihnen aber nur so lange verpflichtet, wie sie diese Gunst auch verdienten. Uns im Haus einsperren wie eine Ehefrau? Niemals. Uns Vorschriften machen, wie wir uns zu benehmen hatten? Nur, wenn der Gegenwert stimmte.
“Und zufälligerweise hat ein Mann meine Gunst durch ein besonderes Geschenk gesucht“, redete ich verschwörerisch weiter und wagte dann, meinen Köder auszuwerfen. “Ich kann auch Abends in die Therme“, flüsterte ich der Claudia zu und hoffte, dass sie anbiss.
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