(05-26-2024, 11:21 AM)Fintan schrieb: Es war selten, dass Fintan etwas nicht wusste. Auch, wenn keiner ihm berichtete, schien er immer Informationen zu haben. Er behauptete als Kind immer steif und fest, die Vögel und den Wind zu verstehen - wie Cathbad. Doch von dem, was Alun getan hatte, wusste er nichts. Hätte er es, hätte dies etwas geändert? Auch ohne diese Erfahrung blieb seinem Bruder noch genügend Schmerz - wie ihnen allen.
"Glaubst du, dass wir wieder zusammen sind?", wollte er wissen. "Manchmal frage ich mich, ob Cal Recht hatte... Cathbad will nicht, dass wir leben... Warum sollten die Götter wollen, dass wir in die jenseitige Welt kommen?" Es hatte für Fintan stets festgestanden, dass ihre Lebenszeit auf Erden dadurch bemessen war, wie lange sie für ihre Aufgabe brauchten. Oder wie lang es dauerte, bis sie dabei draufgingen. Wenn es nach Cathbad ging, würde es für sie kein Nachleben geben, ganz gleich welchen Glaubens. Kein Wandeln in den Hainen der Anderswelt, den Weiten der Unterwelt oder in den Gefilden der Binsen - oder was dort draußen noch so existieren mochte. Der Druide hatte es geschafft, all seinen Hass für die Römer auf die sieben Jungen unter seinem Fittich zu übertragen. Fintan fand den Gedanken nicht abwegig, dass der Alte für ihren Fall in das ewige Vergessen betete. Sie würden ihre Mütter selbst im Tod nicht wiedersehen. Aber wenn dem so war... dann ja vielleicht Dunduvan? Auf dass sie zu siebt gemeinsam durch die Leere fallen konnten.
Vielleicht war es falsch, so zu denken. Doch bei Calum war er sich nicht sicher. Dessen Mutter wollte ihn selbst im Tod vermutlich nicht mehr sehen. Ob Alun das wusste?
"Entschuldige", murmelte er. "Ich sollte sowas nicht sagen... Mann... Dabei sollte ich doch euch trösten... Tut mir leid."
Beschämt wandte er den Blick ab und sah hinaus in die Nacht. Diese war inzwischen undurchdringlich. Zu regnen hatte es auch wieder begonnen, wenn auch nicht so stark wie zuvor.
"Willst du zurück? Ich... Ich mache dir auch gern Platz. Heu haben wir genug", sagte er und rutschte ein Stück, damit sie, wenn Alun wollte, beide bequem liegen konnte. "Müssen wirklich langsam schlafen. Lou peitscht uns morgen sicher wieder den ganzen Tag... So viel zum Badehaus. Wenn wir die Römer vertrieben haben... also, das warme Wasser werde ich schon vermissen."
Ich hielt Fintan nun noch etwas fester und nickte.
"Ja, das glaube ich!" Zumindest hatte das mir meine Mutter immer erzählt, wenn ich traurig war, denn ich hatte schon immer gewusst, dass unser gemeinsamer Weg nicht von langer Dauer sein würde. Ich hatte meine Mutter nur als kränkliche und melancholische Frau gekannt, die oft aus unerfindlichen Gründen weinte. Sie hatte nicht die Kraft mit mir zu spielen, so wie die meisten anderen Mütter. Doch die wenigen Momente, in denen sie gelächelt hatte, waren für mich das Zeichen, dass sie mich liebte. Ob sie es wirklich tat, hatte sie mir nie direkt gesagt.
Jeder von uns hatte sich so seine Gedanken über die eigene Existenz gemacht. Das war ganz normal. Durch den frühen Tod unserer Mütter und das Wissen um unsere Herkunft, fielen diese Gedanken meist negativ aus. Keiner von uns rechnete mit einem langen glücklichen Leben. Das hatte uns Cathbad immer wieder suggeriert. Doch ich sah für mich darin kein Hindernis, weshalb nicht auch die Anderswelt für uns offen stehen sollte.
"Die Götter messen uns an unseren Taten, nicht daran, dass wir durch Gewalt und Schande entstanden sind, Fin," antwortete ich ihm geradeaus, weil es meiner Überzeugung entsprach. Doch dann musste ich wieder an Prisca denken. Ich hatte mich mit einer Römerin eingelassen und schlimmer noch! Ich hatte meinen Samen in sie gepflanzt und er gedieh nun in ihr. Zu allem Übel war sie auch noch die Schwester des Vergewaltigers meiner Mutter! Wenn mich die Götter nun schon so zu Lebzeiten straften, wie sollten sie mir den Einlass in die Anderswelt gewähren? Die plötzliche Niedergeschlagenheit, die ich nun empfand, wollte ich mir vor Fintan nicht anmerken lassen, denn eigentlich wollte ich ihn doch trösten!
Er murmelte eine Entschuldigung, als hätte er doch gemerkt, was gerade in mir vorging.
"Schon gut, Fin!" brachte ich heraus und wieder war da das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, die mich umfing. Fintan wandte sich von mir ab und starrte in die Dunkelheit. Draußen hatte es schon wieder zu regnen begonnen und wenn ich an die Rückkehr in die Herberge gedacht hatte, wollte ich nun lieber hier bei meinem Bruder bleiben, damit ich nicht alleine war.
"Ich würde gerne hier bleiben, wenn es dir Recht ist." Er rutschte zur Seite und machte mir Platz, den ich gerne in Anspruch nahm. Es stimmte, was er sagte, wir mussten nun endlich ein bisschen schlafen. doch als er meinte, dass er das warme Wasser vermissen würde, wenn wir die Römer vertrieben hatten, musste ich lachen.
"Ja, Das stimmt! Die Badehäuser müssen wir unbedingt beibehalten!" Nun hatte mein Bruder es doch geschafft, dass ich mit einem Lächeln auf den Lippen in einen tiefen und traumlosen Schlaf fiel.