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Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg
05-26-2024, 05:40 PM,
Beitrag #43
RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg
Alle stieben sie auseinander wie Kühe auf einer Weide. So wirklich verdenken konnte und wollte ich es ihnen nicht, denn das hier war das erste Mal ein klein wenig Zivilisation und Pause seit zwei Wochen, und vermutlich würde es auch der einzige solche Halt für zwei Wochen bleiben. Wir hatten die Pferde im Stall unterstellen dürfen, unsere Habseligkeiten in einem Lager unterstellen und Stroh in der Herberge bekommen, also konnte jetzt quasi jeder tun, was er wollte, und das war offensichtlich weit weg von mir.
“Falls irgendwer Hilfe braucht, weckt mich“, sagte ich nur und ging zu der Herberge. Es war gerade einmal früher Nachmittag, also viel zu früh, um zu schlafen, und eigentlich sollte ich besser auch baden, essen und ein paar Annehmlichkeiten genießen, aber ich war zu müde. Zu müde von der vielen Verantwortung auf meinen Schultern, von der Wachsamkeit, zu müde von den vorwurfsvollen Blicken und dem Gejammere und Gestöhne, und definitiv viel zu müde von Fintans ständigen Störungen und Versuchen, mir meine Aufgabe noch so viel schwerer zu machen, als sie sowieso schon war. Als ob ich mir ausgesucht hätte, das hier zu machen. Als ob ich mir ausgesucht hätte, sie alle nach Norden zu geleiten und für ihre Sicherheit zu sorgen. Als ob ich nicht auch gerade mal nicht ganz 19 Jahre alt war. Aber natürlich nahm niemand darauf Rücksicht. Natürlich behandelten mich alle, als wär ich ihr Feind und würde nur den ganzen Spaß verderben. Natürlich wollten daher jetzt alle weg von mir.

Ich ging in die Herberge und ließ mich an einer Wand hinunter und lehnte mit dem Rücken einfach dagegen und schloss die Augen. Ich sollte etwas essen, das war mir klar. Ich hatte ganz sicher schon abgenommen, meine Hose saß lockerer als sonst und die Muskeln an meinem Arm traten ein winziges bisschen zu deutlich unter der haut hervor. Und irgendwo hier in der Nähe kochte auch jemand etwas, das Fleisch und Zwiebeln enthielt und sicher weit besser schmeckte als alles, was wir in den letzten zwei Wochen gegessen hatten. Aber trotzdem konnte ich mich nicht aufraffen, jetzt aufzustehen und danach zu suchen.
Ich schaffte es gerade so, den Mantel auszuziehen und mir über die Beine zu legen, damit er ein wenig trocknete, auch wenn mir darunter dann kälter wäre, als wenn ich das Ding einfach weglegen würde. Aber Diebe waren hier genauso schnell wie überall anders auch. Also blieb er bei mir, so dass ich seinen Verlust gleich merken würde.

Und lehnte da an der Wand, mit geschlossenen Augen und auf der Suche nach Ruhe vor all den Gedanken in meinem Kopf. Vor der weiteren Reiseplanung, und vor der Frage, ob wir Vorräte bekommen würden, die ausreichend wären. Ich wollte mir keine Gedanken machen müssen über die weiteren Gefahren. Über Römer, über Räuber, über die Stämme hier. Über Hochwasser an den Flüssen, weil es doch recht ausgiebig regnete und wo wir die Flüsse vor uns überqueren könnten. Über Gebirge und Felsrutsche und Wolfsrudel und Bären. Über die Gesundheit der anderen, ihren Schlaf, Verletzungen, Erschöpfung. Ihre verdammten Hintern und deren Belastbarkeitsgrenze. Darüber, wie Fintan mir das alles am nächsten Tag noch so viel schwerer machen würde, als es ohne ihn sowieso schon wäre. Ich wollte einfach nur einmal wieder Ruhe in meinem Kopf.

Und ich wollte nicht über die anderen Dinge nachdenken. Beltane war vorbei, und nicht, dass ich daran hätte teilnehmen wollen, hatte ich doch an das letzte Jahr denken müssen. An Dunduvan und Niamh, wie sie das Lager geteilt hatten. Jetzt waren beide weg. Dunduvan war tot, und Niamh… nun, sie war die Art Mädchen, die wohl nicht lange allein blieben. Bestimmt hatte sie dieses Beltane schon bei einem anderen gelegen und mich vergessen. Weil sie mich angelogen hatte, das war mir inzwischen klar. Oh, nicht absichtlich oder böswillig, aber doch hatte sie gelogen.
Sie hatte behauptet, dass einfach nur ich ihr genug wäre. Einfach nur bei mir zu sein. Dass sie mich liebte. Aber das stimmte nicht. Es stimmte bei ihr so wenig wie bei allen anderen. Sie hatte nie mich geliebt, nie mich gewollt. Sie hatte das Bild geliebt, das sie von unserer Zukunft hatte, und sie hatte mich gebraucht, aber das war etwas vollkommen anderes, als jemanden wirklich zu lieben. Sie wollte ein einfaches, glückliches, fröhliches Leben voller feste, Gesang und einer Familie. Keine Sorgen. Keine Geheimnisse. Verdenken konnte ich ihr das nicht, das wollten viele Leute. Aber das war einfach nicht ich, das war nicht das, was es gab, wenn man mit mir zusammen war. Und daher hatte sie immer weiter gesucht nach dem, was sie brauchte und wollte, so lange, bis sie das, was wir hatten, zerrissen und zerstört hatte und sie mir die Schuld daran dann geben konnte. Ich verstand das jetzt, ich hatte es eigentlich immer gewusst, hatte es besser gewusst. Und trotzdem hatte ich mich darauf eingelassen und darauf, dass es mir wieder weh tun würde. Wie immer.
Doch obwohl ich das alles wusste, hieß das nicht, dass es weniger weh tat. Obwohl ich wusste, dass es nie anders hätte sein können, hieß das nicht, dass ich nicht die Momente vermissen konnte, in denen auch ich beinahe geglaubt hatte, dass ich glücklich sein könnte. Dass ich gut genug wäre. Dass sie wirklich mich sehen würde, und nicht nur einfach einen Retter suchte.
Und scheiße, ja, ich vermisste auch den Sex. Ich war ein nicht ganz 19 Jahre alter Kerl, und es half ganz sicher nicht, tagelang von Fintan zu hören, wen er wie und wo gevögelt hatte oder noch vögeln wollte, so wie er jetzt auch wieder genau deshalb losgezogen war, für bedeutungslosen Sex, für den er keinerlei Verantwortung übernehmen würde wie eben bei allem anderen auch.

Nein, Verantwortung hatte immer nur ich, mein ganzes Leben lang und jetzt noch viel mehr. Ob es mich erdrückte, ob ich es kaum mehr ertragen konnte, ob ich einfach nur einmal auch ausruhen wollte. Alles egal.
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Falke
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RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - von Louarn - 05-26-2024, 05:40 PM

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