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Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war
05-11-2024, 02:21 PM,
Beitrag #6
RE: Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war
Fast atemlos hatte ich meinem Vetter Merula von meinen Plänen erzählt, aber auch von den Schwierigkeiten, in die mich meine Naivität sowohl in Ostia als auch auf meinem Wege nach Iscalis gebracht hatten. Dankbar nahm ich wahr, dass er mich deswegen nicht etwa verurteilte oder gar verhöhnte, sondern mir im Gegenteil Mut zusprach. Ich nickte ihm erleichtert zu.

Gefesselt wurde meine Aufmerksamkeit dann aber richtig, als Merula seinerseits anfing, von seinen Zukunftsplänen zu sprechen. Ein Stück Land an der Straße nach Dubris... Der Name dieses Ortes sagte mir natürlich noch nichts, ja, ich hätte nicht einmal beschwören können, ob ich nicht möglicherweise schon auf meinem Weg nach Iscalis dort vorbeigekommen war. Merulas Beschreibungen aber weckten in mir sofort einige Phantasien: "Das, was du über dein Stück Land sagst, hört sich sehr interessant an. Eine eigene Quelle ist immer nützlich, und der Aufbau einer Schweinezucht wäre natürlich eine hervorragende Grundlage für einen Fleischerbetrieb. Selbstverständlich würde ich dir und deiner Gemahlin dabei so gut wie möglich zur Hand gehen."

Mir fehlte zwar konkrete Erfahrung in der Führung eines landwirtschaftlichen Hofes, denn in Ostia stammten die Tiere, die in unserer Fleischerei verarbeitet wurden, aus großen Latifundienwirtschaften, die sicher nicht mit dem Betrieb vergleichbar waren, den Merula und seine Frau vielleicht entstehen lassen würden. Doch war ich immerhin einige Male zum Aussuchen von Tieren und auch zum Schlachten mit auf die Latifundien genommen worden und hatte natürlich auch dies und das bei der täglichen Arbeit aufgeschnappt, so dass ich mir ein gewisses Bild machen konnte. Jedenfalls nahm ich diese Neuigkeiten von meinem Cousin hocherfreut auf: "Wenn es dir oder euch beiden möglich ist, könnten wir ja bald einmal zusammen zu diesem Stück Land fahren. Oder aber du beschreibst mir den Weg, und ich sehe mir das ganze in den nächsten Tagen vorab schon einmal alleine an."

Fast schon war ich in Aufbruchsstimmung, als Merula plötzlich eher besinnliche Töne anschlug und von seiner Leidenschaft für Bücher und Wissen erzählte. Der warme und aufrichtige Tenor seiner Worte berührte mich; wie, so fragte ich mich unwillkürlich, hatte er dieser seiner Liebe in jenen Zeiten nachgehen können, in denen er noch als aktiver Soldat im Dienst gestanden hatte? Auf jeden Fall wollte ich alles dafür tun, dass der Traum meines Vetters in naher Zukunft wahr werden würde: "Deine Ideen für einen Buchladen oder eine Bibliothek klingen sehr anziehend. Wenn ich kann, würde ich dich gerne dabei unterstützen. Sag' mir einfach, was du dafür von mir brauchst."

Insgeheim spürte ich, dass Merulas Vorhaben, einen Ort für "Wissen und Geschichten", so hatte er es selbst gerade genannt, in Iscalis zu etablieren, eine empfindliche Stelle bei mir traf. Obwohl ich in unmittelbarer Nähe zu Rom aufgewachsen war und dementsprechend natürlich auch Zugang zu gründlichen Schulen gehabt hatte, hatte ich den Weg zu echter Bildung eigentlich nie gefunden: Nachdem einmal die unerlässlichen Grundlagen erlernt waren, die jeder echte Römer beherrschen musste, hatten bei mir schon früh Nützlichkeitsaspekte im Vordergrund meiner Ausbildung gestanden. Sollte ich ausgerechnet hier, in der Provinz Britannia, diese Lücke ein wenig füllen können?
[Bild: 3_15_08_22_9_36_30.png]
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RE: Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war - von Lucius Sabinius Bellus - 05-11-2024, 02:21 PM

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