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Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war
04-29-2024, 01:33 PM,
Beitrag #2
RE: Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war
Es war zu vorgerückter Stunde gewesen, dass ich nach langer Reise von meiner Heimatstadt Ostia aus in Iscalis in der Casa Sabinia angekommen war. Das Nachtmahl, welches man mir dort noch so wohlwollend gereicht hatte, hatte mich gestärkt, das erste Kennenlernen meines Cousins und Hausherrn Marcus Sabinius Merula hatte mich sehr gefreut, aber schon auf dem Weg in mein Cubiculum, das mir in der Casa Sabinia hergerichtet worden war, befiel mich nachher eine große Müdigkeit, der ich auch nicht mehr Herr wurde, und so warf ich mich in meinem neuen Zimmer einfach nur noch auf das komfortable Bett und fiel gleich in einen tiefen Schlaf.

Ja, ich hätte am nächsten Morgen noch lange weiter schlummern können, doch hatte ich die Sklavin Dana noch am Vorabend darum gebeten, dafür zu sorgen, dass ich recht zeitig geweckt werden würde. Schließlich hatte ich noch so einiges vorzubereiten, bevor ich mich als neuer Familienangehöriger ausführlicher würde vorstellen müssen. Vor allem kam es darauf an, ein ganz anderes Erscheinungsbild abzugeben als am Abend zuvor, als ich durchnässt und wahrscheinlich ziemlich abgerissen an die Porta der Casa Sabinia geklopft hatte. Für ein Bad war zwar nicht die richtige Tageszeit, aber ich wusch mich immerhin gründlich und konnte auch mit einiger Genugtuung feststellen, dass die "bessere" grüne Tunika, welche ich in meiner Reisetasche mit mir geführt hatte, den Regen des Vortags gut überstanden hatte. Befriedigt zog ich sie über, strich sie noch einmal an meinem Leib glatt und nahm dann ein kleines Frühstück zu mir, so dass ich Merula und vor allem natürlich seiner Ehefrau nicht bloß nicht mehr verdreckt, sondern auch nicht mit knurrendem Magen gegenüberzutreten brauchte. Mit einem kleinen Lederbeutel in der Hand, den ich ebenfalls in meiner Reisetasche transportiert hatte, trat ich dann den Weg in das Erdgeschoss der Casa Sabinia an, wo mein Vetter, wie mir gesagt worden war, auf mich im Tablinum wartete.

In diesem Raum fand ich meinen Cousin mit einigen Schriftstücken um sich herum vor: "Guten Morgen, Merula. Ich hoffe, du hattest eine angenehme Nacht." Dass ich meinen Vetter zunächst alleine traf, machte es für mich einfacher, das für mich zutiefst Unangenehme, aber doch auch Unvermeidliche anzugehen: "Jetzt an diesem neuen Tag ist es wohl Zeit für mich, dir reinen Wein einzuschenken, was mich hierher getrieben hat. Nun, um es kurz zu machen: Sie hieß Alissa."

Natürlich steckte eine Frau hinter dem ganzen Elend. Oder vielleicht musste ich ehrlicher sagen: Hinter allem steckte mein Verlangen nach dieser Frau. "Ich habe diese Frau in Ostia kennengelernt, sie lebte etwas außerhalb der Stadt. Mein Vetter, ich sage dir, ich war noch nie so verliebt in eine Frau wie in sie, richtig vernarrt war ich in sie." Bei diesen Worten sah ich Merula direkt an, senkte aber sofort wieder meinen Blick, weil ich selbst bemerkte, welchen Glanz meine Augen wohl schon wieder ausstrahlten, wenn ich nur an ihren Gang dachte, an ihr Lächeln, ihre feinen Brauen, ihren Mund.

"Sie stammte aus Syria. Wir haben uns in Ostia nur einige Male getroffen, immer in der Öffentlichkeit, versteht sich, und ich habe sie umgarnt und mich dabei wahrscheinlich zum Idioten gemacht." Ob sie auch nur annähernd so viel für mich empfunden hatte wie ich für sie, würde ich nie erfahren. "Aber das ist bei weitem nicht das Schlimmste. Eigentlich ist es jetzt sogar ganz unwichtig. Denn eines Tages verschwand sie plötzlich von der Bildfläche. Und Vater - also mein Vater - erfuhr unter der Hand, dass sie zwar vielleicht wirklich aus Syria kam, aber keineswegs 'Alissa' hieß, sondern 'Fariyane', und aus einer ursprünglich parthischen Familie stammte."  Auch wenn Merula hier denkbar weit entfernt lebte, so hatte er wohl sicher schon von unseren Spannungen mit dem Partherreich im Osten gehört. "Von ihrer parthischen Herkunft hatte ich natürlich überhaupt keine Ahnung. Die Prätorianer sollen ihr schließlich nachgestellt haben, so dass sie sich aus dem Staub machen musste. Und damit nicht am Ende noch ich selbst irgendwie da mit hineingezogen würde, kamen Vater und ich zu dem Entschluss, dass ich Ostia und Italia so schnell wie möglich verlassen und Belenus hinterher zu dir nach Britannia übersiedeln sollte." Als wäre dies alles nicht schon genug, fügte ich noch an: "Ich habe deshalb vor, dauerhaft hier in Iscalis zu bleiben, und habe auch schon Pläne für meine Zukunft."

Damit war ich von meiner Seite aus mit der unrühmlichen Erzählung, was mich aus Ostia hierher vertrieben hatte, an ein Ende gekommen. Gleich anschließend hätte ich mit der Schilderung der Schwierigkeiten auf meiner Reise fortfahren können, doch wollte ich meinem Vetter erst einmal Zeit geben, das bereits Gehörte zu verdauen.
[Bild: 3_15_08_22_9_36_30.png]
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RE: Ein neuer Sabinier im Haus - oder: Der Bruder, der ein Vetter war - von Lucius Sabinius Bellus - 04-29-2024, 01:33 PM

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