RE: Atrium
Wie ich es mir vorgenommen hatte, hatte ich meinem Cousin Merula die Fakten meine Ankunft betreffend in direkter Weise unterbreitet. Ohne meine - offenbar verschollene - Nachricht und ohne den abgängigen Belenus mussten meine Worte Merula jedoch vollkommen unvorbereitet treffen. Es war deshalb nur natürlich, dass er seinen Blick eine Weile skeptisch über meine Erscheinung wandern ließ. So schien es mir jedenfalls, und ich war heilfroh, als er mich dann schließlich - und dieses Mal wirklich: mich, Bellus - in seiner Casa in Iscalis willkommen hieß.
Erleichert lächelte ich und nickte, wie um Merulas Willkommensgruß zu unterstützen, eifrig mit dem Kopf. Trotz der vorgerückten Stunde erschien es mir aber notwendig, noch etwas Licht in das Dunkel dieser ganzen Verwirrung um Belenus' und meine Ankunft zu bringen und insbesondere auch meinen Vater nicht etwa schlecht dastehen zu lassen: "Ich danke dir, lieber Cousin, für deinen Willkommensgruß. Dieses Durcheinander mit Belenus und mir kannst du allein mir zuschreiben, und ich bedaure es sehr. Es verhielt sich so, dass Belenus hierher kommen wollte, um seine Heimat kennenzulernen - und dich. Und ja, du hast ganz Recht: Darüber hat mein Vater dich in einem Brief in Kenntnis gesetzt." Nur annähernd konnte ich ermessen, welch eine Überraschung diese Nachricht für die in Iscalis ansässigen Mitglieder der Familie gewesen sein musste. Aber auch mich hatte mein Vater erst darüber unterrichtet, als es sich gar nicht mehr verbergen ließ und Belenus schon fast zum Aufbruch rüstete. "Dass ich jetzt ebenfalls hier bin, hat einen ganz anderen Grund, über den wir vielleicht morgen sprechen können oder wann immer es dir recht ist." Sagte ich das jetzt nur, um für diesen Abend noch einmal darum herum zu kommen, meinem Vetter gegenüber ziemlich peinliche Angelegenheiten aus meinem Leben einräumen zu müssen? Wenn ich ehrlich zu mir selber war, war das natürlich auch ein Grund; andererseits war es aber auch wirklich spät, und ich wollte Merula auch nicht unbedingt mit solchen unliebsamen Neuigkeiten zu Bett gehen lassen - es sei denn, er würde noch ausdrücklich nachfragen. "Meine eigene Nachricht über meine Ankunft hier scheint ja, wie wir schon festgestellt haben, die Casa noch nicht erreicht zu haben. Und mein Vater hat tatsächlich über meine Ankunft kein eigenes Schreiben mehr an dich verfasst." Jedenfalls hatte er das nicht vorab getan. Die Vereinbarung lautete, dass ich mich zunächst einmal selbst bei Merula melden sollte; ob mein Vater möglicherweise seitdem noch einen Brief mit der Information über meine Ankunft abgeschickt hatte, wusste ich freilich nicht.
Nachdem ich so hoffentlich etwas mehr Klarheit in Belenus' und meine Ankunft hier gebracht hatte, nahm ich einen tiefen Schluck von dem schmackhaften Gewürzwein. Ich spürte, wie gut mir die Wärme tat, welche dieses Getränk in mir hervorrief. Herzhaft griff ich auch zu Käse, Hühnerfleisch und Brot, die der Sklave Beatus gebracht hatte. Mit dieser kleinen improvisierten Mahlzeit wollte ich mich beeilen, um die Geduld Merulas nicht noch länger zu strapazieren, denn ich vermutete, dass er es für seine Pflicht halten würde, bei mir zu bleiben, bis ich mit dem Essen fertig sein würde, und dies, obwohl er noch nicht vollständig wiederhergestellt war. Erfreut hörte ich ihn aber sagen, dass eine Operation erfolgreich verlaufen sei und er sich begründete Hoffnungen mache, bald auch ohne Stock wieder gehen zu können: "Merula, den Göttern sei Dank, dass diese Operation so gut geglückt ist! Du machst auch jetzt schon einen standfesten Eindruck, und ich hoffe mit dir, dass du weiter so große Fortschritte machst. - Übrigens, wie geht es den anderen Verwandten, deiner Frau oder auch Calista?" Die Höflichkeit gebot es unbedingt, mich nach ihnen zu erkundigen, und natürlich war ich auch gespannt darauf, sie hier vielleicht bald kennenzulernen. Sorgen bereitete mir aber immer noch der Verbleib eines mir wohlbekannten Angehörigen, den Merula seltsamerweise kaum noch erwähnt hatte: "Belenus allerdings fehlt hier noch. Merula, was meinst du? Ich kenne mich mit den Verhältnissen hier zu wenig aus, aber muss man sich um ihn Gedanken machen? Würde es Sinn machen, dass ich mich morgen auf die Suche nach ihm mache?" Natürlich konnte ich hier allein mangels Ortskenntnis nicht viel ausrichten, aber möglicherweise würde ein Sklave oder ein Einheimischer mir behilflich sein können.
Zügig, aber doch mit Genuss aß ich die letzten Bissen der Mahlzeit und spülte sie dann mit dem Rest des Gewürzweins hinunter, so dass mir mittlerweile wirklich angenehm warm geworden war, obwohl auch die Kleidung, die ich noch am Leibe trug, vom Regen in Mitleidenschaft gezogen worden war. Sie war zwar nicht zum Auswringen nass wie meine Oberbekleidung, die der Ianitor mir schon am Eingang abgenommen hatte, aber doch ziemlich klamm. Ich würde sie ausziehen; die Sachen in meiner Reisetasche, die ich irgendwo zwischen Eingang und Atrium abgestellt hatte, waren hoffentlich noch einigermaßen trocken, so dass ich für die Nacht noch etwas würde überstreifen können.
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