Forum

[Accia Prisca]

Accia Prisca nickte, als er seine Einheit nannte. Sechste Centurie, achte Cohorte, ja, das würde sie sich merken können. Es war zwar nicht dieselbe Cohorte wie die ihres Bruders, aber die Chance war ja doch hoch, dass er sich so erinnerte. Und vielleicht genügte diese Erinnerung ja tatsächlich, dass er mit ihr zu diesem Wagenrennen ging. Prisca kannte ihren Bruder nicht gut genug, um zu wissen, ob er sich ansonsten für Wagenrennen begeisterte oder eher nicht und wie viel Überredungskunst es daher bräuchte.  Und sie war sich auch irgendwie immer noch nicht sicher, ob das hier alles grade wirklich passierte. Es war so unreal, dass sie noch gar nicht bis zu dem Gedanken gekommen war, ob sie das denn wollte.

Aber er wollte das anscheinend wirklich. Er lächelte sie an und sagte noch einmal, dass er es schön fände. Prisca merkte, dass ihre Wangen glühten, und auch, dass sie gar nicht mehr zu Boden schaute, sondern in sein Gesicht. Ein ganz kurzes, scheues Lächeln kam in ihr Gesicht, nur für eine Sekunde, ehe die Schüchternheit doch wieder gewann. “Ja, wäre es“, sagte sie also auch noch einmal und wusste gar nicht, was sie sonst sagen sollte. Noch nie war so etwas passiert, und sie glaubte noch nicht ganz daran, dass das hier jetzt passierte. Wahrscheinlich würde sie, wenn er dann wieder gegangen wäre und sie wieder für sich wäre, ganz fürchterlich aufgeregt sein. Aber gerade war es zu aufregend, als dass sie sich hätte aufregen können.

Jetzt musste ihr Bruder nur noch zustimmen!

[Marcus Sabinius Merula]

Irrte ich mich, oder war sie in den letzten Minuten über sich hinaus gewachsen? Sie starrte nicht mehr unentwegt den Boden an, sondern riskierte auch einen Blick un meine Richtung. Auch ihr Teint schien etwas lebendiger zu wirken, als noch zuvor. Aber auch ich mekrte, wie mir unsere kleine Unterhaltung gut tat und ich wünschte mir, ich könnte jeden Tag eine solche Unterhaltung führen, ohne das man mir unterschwellig suggerierte, wie arm ich doch dran war und wie schrecklich eine solche Verletzung war. Aber natürlich konnte ich sie nicht einfach so zu mir einladen, ohne vorher mit Florus gesprochen oder wenigstes geschrieben zu haben.
Ja, ich genoss diesen Moment, selbst als wir für eine Weile einfach nur so nebeneinander saßen und keiner von uns ein Wort sagte. Es fühlte sich nicht so an, als würden wir uns anschweigen. Es passte einfach und ich hoffte, sie dachte genauso. Außerdem schob sich dann sogar auch noch die Sonne ein wenig hinter den grauen Wolken hervor, so dass uns ihre warmen Strahlen für einen Moment trafen. Naturlich hatte die Februarsonne noch nicht die nötige Kraft, doch es war ein kleiner Anfang. Ob das schon ein erster Frühlingsbote war?
"Es ist schön, hier einfach einmal zu sitzen! Sonst komme ich nie dazu." Obwohl ich eigentlich fast den ganzen Tag irgendwo saß und mich nicht sonderlich viel bewegte. Jedoch hatte ich immer etwas zu tun. "Du musst wissen, ich beschäftige mich gerade mit dem Nachlass meines Vaters. In seinen Unterlagen habe ich viele seiner Aufzeichnungen gefunden. Er kam damals mit Claudius Divus in dieses Land, um es zu erobern und daraus eine Provinz zu machen. Seine Eindrücke von Land und Leuten und den Kämpfen, bei denen er beteiligt war, hat er alle aufgeschrieben. Es ist wirklich sehr beeindruckend," schwärmte ich und hoffte, sie damit nicht zu langweilen. Gewiss lagen ihre Interessen ganz woanders, so wie es bei den meisten Frauen wohl so war, denn um mir eine eigene Meinung bilden zu können, kannte ich zu wenig von ihnen. 
"Womit beschäftigst du dich. Hast du besondere Interessen?" Falls ich sie tatsächlich langweilte, hatte sie nun die Möglichkeit, unser Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

[Accia Prisca]

Sie beide saßen eine Weile schweigend zusammen, und eigentlich fand Prisca es ganz schön. Wäre nicht die zunehmende Unruhe gewesen, die ihr sagte, sie sollte etwas sagen und Konversation betreiben. Aber ihr fiel nichts ein. Noch immer war sie vollkommen hin und weg davon, dass ein Mann sich mit ihr unterhielt. Und zwar nicht irgendein unsicherer Jüngling, sondern ein erwachsener Mann, ein Centurio und Veteran sogar! Noch immer wartete Prisca insgeheim darauf, dass irgendwo ihr Bruder aus einem Busch sprang um ihr zu verkünden, dass das alles nur ein gemeiner Scherz war. Aber da war niemand, der sie auslachte. Nein, nur Sabinius Merula, der sie anlächelte, nicht gemein, sondern einfach so, ein richtiges Lächeln.
Schließlich war er es, der die Stille brach und von sich und seinem Vater erzählte und dem, was er gerade tat. Und sie dann fragte, was sie machte. Und für was sie sich interessierte. Noch nie hatte sie jemand danach gefragt, was sie so interessierte und was sie gerne tat. Also, kein Mann, nur ihre Freundinnen, oder jene, denen eine Konversation aufgezwungen worden war, weil sie ihrem Vater gefallen wollten. Aber er fragte es einfach so, und Prisca wusste gar nicht, wohin mit diesem warmen Gefühl in ihrem Bauch. Sie hoffte nur, dass sie nicht so dumm wirkte, wie sie sich grade fühlte.
“Ich lese gern. Also, nicht so etwas wichtiges wie du. Das… sowas hat mein Vater immer allein gemacht, und...“ Kurz schaute sie unsicher beiseite, als sie an ihren Bruder denken musste. Sie wusste nicht, ob ihr Bruder überhaupt irgend etwas von den Geschäftsbüchern des Vaters gelesen hatte. Aber das konnte sie so nicht sagen, das hätte doch ein sehr schlechtes Licht auf ihren Bruder geworfen. “Nun, mein Bruder hat den Großteil des Vermögens unseres Vaters natürlich geerbt und verwaltet alles.“ Mädchen befassten sich einfach nicht mit solchen Dingen. Zumindest normalerweise nicht.
“Aber mein Vater hatte auch eine große Bibliothek, in der ich sehr gerne gelesen habe. Vor allen Dingen Gedichte und sowas.“ Vorsichtig schaute sie auf. Wahrscheinlich hielt er sie jetzt doch für dumm. Sowas war eben Mädchenkram, und auch, wenn Prisca nicht so aussah wie die ganzen anderen Mädchen, irgendwo war sie halt eben doch eines. Und wer würde nicht dahinschmelzen, wenn Catull seine Lesbia anschmachtete oder rot werden, wenn Ovid über seine Lust auf die Geliebte schrieb?
“Das ist aber natürlich nicht so wichtig wie Feldzüge und Schlachten. Mein Bruder war auch schon früh hier in Britannia, weshalb unser Vater dann auch unser Haus in Lutetia verkauft hat und nach Londinium umzog, als es sicher war, herzuziehen. Er hat meinem Vater auch geschrieben, aber ich durfte die Briefe natürlich nicht lesen.“ Prisca war damals noch zu jung gewesen, und ihr Vater meinte, solche Dinge wären nichts für Frauen. Sie hatte also nur wilde Vorstellungen davon, was ihr Bruder getan oder auch nicht getan hatte.

Einen Moment herrschte schweigen, ehe Priscas Blick doch einmal kurz nach unten schwankte. Es war ihr peinlich, und sie errötete noch mehr, aber jetzt war es schon passiert. Daher fasste sie den Mut, doch zu fragen. “Wurdest du auch hier in Britannia verletzt?“

[Marcus Sabinius Merula]

Sie las gerne. Da hatten wir ja etwas gemeinsam! In meiner Jugend hatte ich auch viel gelesen und hin und wieder hatte ich mir auch später ein paar schöne Stunden mit einem guten Buch gegönnt, wenn es meine Zeit zugelassen hatte. Allerdings schien Prica eine andere Art von Literatur zu bevorzugen. Sie erwähnte die große Bibliothek, die ihr Vater besessen hatte und in der sie gerne geschmökert hatte. Gedichte vor allen Dingen, aha! Vieleicht Liebeslyrik von Catull oder Ovid?
"Was können die Götter besseres geben als eine glückliche Stunde?" zitierte ich aus dem Hochzeitsgesang aus Catulls Carmina und sah sie lächelnd an. Sicher kannte sie es und vielleicht liebte sie es auch. "Ich hoffe, du konntest dir einige Bücher aus dieser Bibliothek  mit nach Iscalis nehmen." Dann würde ihr vielleicht der Abschied von Londonium nicht so schwer fallen. Denn im Gegensatz zu einem beschaulichen Städtchen wie Iscalis, pulsierte sicher das Leben in Londinium. Für eine junge Frau wie sie, musste dieser "Tausch" furchtbar langweilig sein.
Prisca erzählte weiter und sie tat es wesentlich gelöster, als noch zu Beginn unserer Unterhaltung. so erfuhr ich dann auch, dass ihre Familie zuvor in Gallia gelebt hatte. Nur Florus war vorher hierher gekommen. Natürlich hatte er Briefe geschrieben, die aber nur ihr Vater lesen durfte. Ich konnte mir gut vorstellen, was in solchen Briefen gestanden hatte.  "Lutetia? Dann wurdest du in Gallia geboren? Dort war es sicher nicht so unwirtlich wie hier in Britannia, mhh?" Ich hatte mein ganzes bisheriges Leben in Britannia verbracht und hatte bisher niemals den Oceanus Britannicus überquert. Dafür hatte es niemals eine Veranlassung gegeben. Solange Britannia nicht vollkommen unterworfen und befriedet war, gab es hier noch genug zu tun!
Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und fragte mich dann doch nach meiner Verletzung. Ich empfand das nicht als indiskret. Es machte mir nichts aus, darüber zu sprechen. Im Gegenteil, es half mir bei der Verarbeitung.
"Ja, hier in Britannia wurde ich verletzt. Etwas nördlicher von hier. Ich war mit einigen meiner Männer auf einer Patroullie unterwegs, als wir von einem Haufen wilder silurischer Rebellen überfallen wurden. Einer dieser Kerle stürzte sich direkt auf mich und mein Pferd. Als mein Pferd scheute, wurde ich abgeworfen. und verlor das Bewusstsein. Später fand man mich, unter meinem toten Pferd begraben. ich kann nur mutmaßen, was genau passiert ist. Wahrscheinlich wurde mein Bein von Huftritten zertrümmert."  Mehr Details wollte ich ihr nicht zumuten. Für eine junge Frau wie sie war das sicher schon mehr als genug!

[Accia Prisca]

Zitierte er gerade Catull? Ja, ganz sicher tat er das! Prisca erkannte die Stelle wieder und war ganz hingerissen davon, dass er den Dichter kannte und sogar rezitieren konnte. Naja, ungefähr die eine Sekunde lang zumindest, bis sie erkannte, welches Gedicht er rezitierte, und was noch alles darin stand. Es besang den Wert der Jungfrau, die sich bis zur Hochzeitsnacht aufgespart hatte, sich nun aber nicht gegen ihren Ehemann wehren sollte.  War das nur einfach etwas, was ihm gerade in den Sinn gekommen war, oder war es eine Anspielung? Prisca konnte sich nicht vorstellen, dass es eine war, weder dafür, dass er an ihrer Jungfernschaft zweifelte – hoffte sie zumindest sehr! - und erst recht nicht dafür, dass er auf eine Hochzeit anspielte. Sie hatten sich ja gerade erst getroffen. Außerdem war sie eben Prisca. Pferdegesicht. Das lange, dürre Elend. Nein, das war nur einfach eine Zeile.
“Mein Bruder hat die Bibliothek verkauft, und meine Wohnung ist nicht so groß für eine ordentliche Bibliothek“, gestand sie kleinlaut und überlegte kurz, ob sie es ihm anvertrauen sollte. “Aber die Lieder von Sappho hab ich noch. Aber du darfst es nicht meinem Bruder verraten, denn eigentlich wollte er die auch verkaufen.“ Warum nur erzählte sie ihm das? Prisca wusste es nicht, aber irgendwie wollte sie ihm irgendwas von sich verraten, schon allein, damit das Gespräch nicht aufhörte. Es war so schön, wie er sie immer wieder ansah. Und er kannte Catull!

“Von Lutetia weiß ich nicht mehr viel. Wir sind vor zehn Jahren ungefähr nach Londinium gezogen. Also nachdem alles schon wieder im Aufbau und sicher war“, erzählte sie und spielte damit auf den Aufstand der Iscener an, bei dem die Stadt schwer verwüstet worden war. Ganz fertig war Londinium wie alle Städte Britanniens natürlich nicht, aber so weit, dass man von dem Aufstand dort nichts mehr merkte. “Ich erinnere mich nur noch an die Überfahrt mit dem Schiff, weil ich die so schrecklich gefunden hatte. Aber von Lutetia selber hab ich nur noch ganz vage Erinnerungen.“ Sie erinnerte sich an Sonnenschein und Sommerblumen, aber mehr auch nicht wirklich.

Und dann erzählte er von seinem Bein, und Prisca wurde immer blasser und stiller. “Oh wie schrecklich“, wisperte sie, als er erzählte, was mit ihm passiert war. “Dann hast du großes Glück, dass deine Kameraden dich gerettet und zu einem Medicus gebracht haben. Du hättest tot sein können!“ sagte sie voller Sorge in der Stimme. Und er saß dabei hier so ganz ruhig und gefasst! Sie konnte sich nicht einmal vorstellen, wie es wäre, wenn ihr so etwas schreckliches widerfahren wäre.

[Marcus Sabinius Merula]

Nun ja, Catull gehörte nicht zu jenen Autoren, die ich ständig las. Daher beschränkte sich mein Zitat auch nur auf einen einzigen Satz. Aber von nun an hatte ich ja eine Menge Zeit. Zumindest bis ich eine passende Tätigkeit gefunden hatte. Denn irgendetwas musste ich ja tun und für mein einkommen zu sorgen. Vielleicht sollte ich in der Stadt einen Buchladen aufmachen. Dann konnte ich auch Catull lesen, ohne dass mich jemand schief ansah. Ein wenig zuckten meine Mundwinkel bei diesem amüsanten Gedanken. Prisca jedoch schien kein Grund zum lächeln zu haben, denn Florus hatte offensichtlich alles verkauft, woran sie gehangen hatte. Lediglich ein Buch hatte sie retten können: Sapphos Lieder. Nun, da sie mir dies gestanden hatte, sprach die Angst aus ihr, ich könnte sie bei ihrem Bruder anschwärzen. Doch da konnte ich sie beruhigen!
"Nein, wo denkst du hin! Von mir erfährt er kein Wort, versprochen!" Ich zwinkerte ihr zu, damit sie über ihren Verlust nicht allzu traurig sein musste. Aus ihren Worten sprach die Einsamkeit, die sie fühlte, seit sich ihr Leben komplett verändert hatte. In gewisser Hinsicht teilten wir ein ähnliches Schicksal. Wir beide mussten unser Leben neu ordnen und wir beide waren dabei die einsamsten Menschen auf Erden. Doch nun hatten wir uns getroffen und lernten uns ein wenig kennen. Man nannte so etwas wohl Seelenverwandschaft.
Je länger ich ihr zuhörte, umso mehr genoss ich es, noch mehr von ihr zu erfahren. Kleine, scheinbar unwichtige Details aus ihrem Leben. Von Lutetia konnte sie mir nicht viel erzählen, denn sie war zu jung gewesen, als sie von dort weggezogen war. Ja, damals vor zehn Jahren waren fast alle Spuren des Aufstandes in Londonium beseitigt. Die gebranntschatzte Stadt war fast ganz wieder aufgebaut. An den Aufstand selbst konnte ich mich auch noch erinnern. Ich war damals neun oder zehn Jahre alt gewesen und ich wusste noch, wie sehr sich meine Mutter gefürchtet hatte, dass die Icener auch uns töten könnten. "Ja, die Zeit des Aufstandes war sehr gefährlich. Zum Glück konnte er niedergeschlagen werden und Recht und Frieden konnte wieder einziehen." Nun ja, der Frieden war trügerisch, denn je weiter man nach Westen kam, umso unsicherer war dieser Friede.
Als ich dann von meinem Bein zu erzählen begann, wurde sie immer stiller und blasser. Nein, ich dürft nicht zu sehr ins Detsil gehen! Das war nichts für ein zartres Wesen, wie sie es war. "Ja, ich hatte großes Glück!", antwortete ich, allerdings nicht sehr überzeugend. Obwohl das gar nicht meine Absicht gewesen war.

[Accia Prisca]

Als er versprach, sie nicht zu verraten, fiel Prisca ein Stein vom Herzen. Sie hatte zwar nicht gedacht, dass er sie verpetzen würde, aber trotzdem war es schön, das auch noch einmal zu hören, und sie lächelte kurz erleichtert.
Warum sie überhaupt angefangen hatte, danach vom Aufstand zu erzählen, wusste sie nicht. Irgendwie war das kein wirklich gutes Thema, und sie hätte denken können, den Mund zu halten, denn natürlich bestätigte Sabinius Merula, dass er damals schon in Britannia war, zu der Zeit noch jünger. Immerhin war das 16 oder 17 Jahre inzwischen her, und Prica war zu der Zeit gerade mal neu geboren gewesen, während ihr Bruder schon in Britannia gekämpft hatte, unter Suetonius Paulinus, erst weiter im Norden und dann, als der Aufstand begann, in den Süden wieder ziehend, um sich ihnen entgegen zu stellen.
Wie alt Sabinus Merula damals wohl war? Oder besser, wie alt er wohl jetzt war? Prisca hatte keine Ahnung, und sie wollte nicht schätzen. Definitiv war er älter als sie, aber wie viel älter? Sie hatte keine Ahnung.

Und danach klang er gänzlich niedergeschlagen, als sie ihm attestierte, dass er Glück gehabt hatte, gerettet worden zu sein. Ein langer Moment des Schweigens breitete sich aus, während dem Prisca einfach nur still zu ihm herüberschaute und sich überlegte, was sie sagen sollte. Wäre er eine ihrer Freundinnen, hätte sie seine Hand ergriffen und leise gedrückt, um Anteilnahme zu zeigen und sanften Trost zu spenden. Aber so gut kannten sie beiden sich nicht, und außerdem war er ein Mann und kein junges Mädchen, da gehörte sich so etwas nicht.
Sie beschloss, ihn lieber auf andere Gedanken zu bringen. Nur welche? Sie hatte wenig Ahnung von all sowas, hatte sich bis dahin nie Gedanken um so etwas machen müssen, und fühlte sich ein wenig hilflos angesichts dieses Ausmaßes an Realität, dem sie nichts entgegensetzen konnte. “Weißt du denn schon, was du jetzt machen willst? Also, wenn die Zivilverwaltung dir dein Land gegeben und die Finanzen deines Vaters geordnet sind?“ bestimmt hatte er schon Pläne, was er dann machen wollte. Und wenn nicht, fand Prisca, sollte er welche haben, denn er hatte ebenso wie sie viel Zeit zu füllen, und nichts war schrecklicher, als alleine irgendwo herumzusitzen, während die Gedanken kreisten.

[Marcus Sabinius Merula]

Es hatte nicht in meiner Absicht gelegen, bei ihr Mitleid zu erregen. Ebenso wollte ich mich nicht vor ihr in Selbstmitleid suhlen. Bemitleidet wurde ich bereits von anderen. Das genügte voll und ganz! Allerdings war ich der Meinung, einen realistischen Blick auf meine Situation zu haben. Ich wusste, wozu ich nun noch fähig war und wozu nicht. Im Augenblick fiel mir keine passende Tätigkeit ein, der ich regelmäßig nachgehen konnte. Und zu glauben, auf die Schnelle eine Frau zu finden, um eine Familie zu gründen , war einfach nur blauäugig.. Mal ehrlich, wer wollte denn schon einen Krüppel wie mich an seiner Seite haben? Accia Prisca konnte sich wahrscheinlich vor möglichen Heiratskandidaten kaum retten. Sie war jung, kam aus gutem Hause und war einigermaßen hübsch. Gut, sie war vielleicht etwas zu lang geraten. Aber was sagte das über ihren Charakter aus? Florus würde es sich sicher dreimal überlegen, ob er sie mir zur Frau geben wpllte, wenn ich ihn darum bitten würde. So gut waren wir nun doch nicht befreundet.
Doch stellte sie mir doch noch eine Frage. Es war die Frage, auf die ich selbst noch keine passende Antwort gefunden hatte. Nur meine Mutter schien da eine klare Vorstellung davon zu haben, wie es nun mit mir weiter gehen sollte. Aus diesem Grund hatte ich ja am Morgen das Haus verlassen und hatte mich, Dank meiner beiden Sklaven, bis zum Forum durchgeschlagen.
"Das ist eine gute Frage, liebe Accia! Ich habe keine Ahnung!" Naja, das war wahrscheinlich nicht die Art von Antwort, die sie hören wollte. "Was ich mit dem Land tun werde, weiß ich noch nicht. Vielleicht verkaufe ich es, um mir ein Geschäft aufzubauen. Denn mal ehrlich, könntest du dir vorstellen, dass einer wie ich Bauer wird? Na ja, und dann werde ich mir eine Frau suchen, um eine Familie zu gründen." Wenn ich gar nicht fündig werden sollte, würde ich eine unserer Sklavinnen freilassen und sie heiraten. Eine Heirat bedeutete ja nicht zwangsläufig, dass man diejenige auch lieben musste.

[Accia Prisca]

“Warum denn nicht?“ fragte Prisca ganz ehrlich verwundert, als er meinte, er könne kein Bauer werden. Ja, mit seinem Bein konnte er vielleicht nicht so viel laufen und selber die Erde umgraben, aber offenbar war er reich genug, um zwei Sklaven zu haben. Warum sollte er da dann nicht noch ein paar mehr vielleicht erwerben, die für ihn die Felder pflügten? Es gab nicht wenige Römer, die diese Arbeiten die Sklaven erledigen ließen, während sie sich dem Handel und den Finanzen ihres Hofes widmeten. Warum sollte er das nicht können?
Als er aber kurz darauf auch schon sagte, dass er es verkaufen würde und sich dann eine Frau suchen würde, um eine Familie zu gründen, katapultierte sie das doch ein bisschen wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Er sagte es eindeutig auf eine Art, dass Prisca nicht annehmen konnte, er spräche über sie. Das war eher die Art, wie Männer halt mit ihr sprachen, weil sie sich dazu genötigt fühlten. Wenn sie erzählten, dass sie eine Familie gründen wollten, mit einer angemessenen, hübschen Frau. Nicht mit ihr. Dass sie eine hübsche Frau suchten, die irgendwo da draußen nur darauf wartete, von ihnen entdeckt zu werden, damit sie mit ihrem Vater reden konnten. Während sie immer nur den Namen ihres Vaters als Pfand gehabt hatte, und das, was auch immer er ihr als Mitgift mitgegeben hätte. Aber eben nicht irgendwas, das einem begehrenden verlangen nach ihr auch nur Nahe gekommen wäre.
“Oh“, machte Prisca kurz und fühlte sich doch irgendwie ein wenig verletzt. Eigentlich sollte sie sich nach den vielen Malen, die ihr das passiert war, nicht mehr verletzt fühlen, aber der Stich blieb, ganz sachte irgendwo in ihrer Brust, während sie so tat, als kümmere sie das alles ja auch gar nicht. “Nun, das klingt doch schon einmal nach einem Plan. Deine zukünftige Braut kann sich glücklich schätzen.“
Diese Minuten, nachdem so etwas passierte, waren immer am schlimmsten, da Prisca dann nicht wusste, was sie machen sollte, und wie sie sich der Situation entziehen sollte. Dieses unangenehme Schweigen, das dann gewöhnlich folgte, machte es ihr schwer, nicht über ihre eigenen Unzulänglichkeiten nachzudenken. Sie fing jetzt schon damit an.
“Aber ich möchte dich nicht länger aufhalten, Sabinius Merula. Es war sehr freundlich von dir, sich mit mir zu unterhalten, und ich werde meinem Bruder die Grüße ausrichten“, entschied sie sich also zum unauffälligen Rückzug, ehe es noch peinlich werden würde. Sie wollte nicht, dass er dachte, sie wäre eines von diesen Mädchen, das sich jedem heiratsfähigen Mann an den Hals warfen.

[Marcus Sabinius Merula]

Mit dieser Antwort hatte ich nun überhaupt nicht gerechnet. Daher sah ich sie etwas verwundert an. Nun ja, sie war eben ein junges Mädchen. was wusste sie denn schon? Aber es war schmeichelhaft, dass sie mir dies in ihrer jugendlichen Unwissenheit zutraute. Aber nein, ein Bauer würde ich nie und nimmer werden. Eher würde es mitten im Sommer schneien. Obwohl, hier in Britannia musste man mit allem rechnen!
"Es freut mich, dass du mir das zutraust!" antwortete ich ihr lächelnd. Dann aber schien ich plötzlich etwas falsches gesagt zu haben, denn kaum hatte ich davon gesprochen, mir eine Frau zum Heiraten zu suchen, reagierte sie sehr kurz angebunden. Mir kam es nicht in den Sinn, sie etwa gekränkt zu haben. Dann, einige Herzschläge später schien sie sich wieder gefangen zu haben. Sie erklärte, dass sich mein  Vorhaben doch nach einem guten Plan anhörte und dass sich die Braut glücklich schätzen konnte. "Ach wirklich?" gab ich zurück. Mir lag es auf der Zunge, sie zu fragen, ob sie sich denn glücklich schätzen würde, wenn ich derjenige wäre, den sie heiraten sollte. Aber das unterließ ich natürlich, denn das gehörte sich nicht. Aber auch meine Zurückhaltung anderte nichts daran, dass sie nun die Unterhaltung mit mir beenden wollte. "Aber du hältst mich nicht auf!" Ich versuchte aufzuspringen, wurde aber prompt mit einem stechenden Schmerz in meinem Bein bestraft. "Das Vergnugen war ganz auf meiner Seite! Aber sag mir bitte Accia, darf ich darauf hoffen, dich wieder zu sehen? Beim Wagenrennen vielleicht?"