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[Iscalis nach Londinium] Der Gefangene des Winters
01-07-2025, 04:48 PM,
Beitrag #1
[Iscalis nach Londinium] Der Gefangene des Winters
[Bild: Gefangenetransport.jpg]
*


Eine Reise über hundertsechsundvierzig römische Meilen war es nach Londinium, wenn man sich in Spinis oder Calleva ausruhen und Vorräte auffrischen musste. Der Gefangene war in einem Käfig auf einem Ochsenkarren untergebracht, Proviant und Tierfutter und sonstige Habe fuhren auf einem zweiten mit.  Die vier Ochsen waren stark und gutmütig, und da  der Konvoi mit dem Aufbruch gewartet hatten, bis es tüchtig kalt und der Boden gefroren war, kamen sie auch voran, ohne irgendwo im britannischen  Schlamm stecken zu bleiben. Aber wie es diese Tiere zu sein pflegten - sie waren langsam. Und die Esel passten sich ihnen an. Die Reisezeit würde mindestens vierzehn Tage betragen.  Der Tross wurde von zehn Amtsmänner zu Pferd, die teilweise bewaffnet waren und der gleichen Anzahl kräftiger Furiersklaven, die Knüppel dabei hatten, komplettiert, sowie fünf Ersatzpferde, die sich abwechseln mussten.  Princeps Officii Furius Saturninus, dessen Laune ebenso frostig war wie das Wetter und der alles aus seinem Privatsäckel bezahlte,  führte sie an. Dabei hatten sie Glück, dass gerade trockene Kälte vorherrschte. Würde es Niederschlag geben, würde es gleich anfangen, zu schneien und sie gar nicht mehr vorwärtskommen.
Valentinus lenkte sein Pferd neben Saturninus. Der überflog noch einmal den Brief, der ihm Pertax geschrieben hatte:

Princeps Praetorii Lucius Petilinius Pertax sendet Grüße

Wie du sicher weißt, sind Gerichtstermine rar und ich kann nicht nach Belieben solche vergeben. Der nächste freie Termin, den ich für dich reservieren konnte, ist zwei Tage vor den Agonalium des Ianus im Januar. Ich habe es so arrangiert, dass du deinen Fall am frühen Morgen dem Statthalter vorlegen kannst, woraufhin er entscheiden wird, ob eine Verhandlung stattfinden wird. Falls er es so entscheidet, werde ich versuchen, einen Termin hierfür noch vor den Paganalia zu finden.
Lucius Petilius Rufus hasst es, wenn er bereits bei einer ersten Anhörung mit Anträgen oder gar Zeugen überhäuft wird, also halte deinen Fall kompakt. Sollte es zu einer Verhandlung vor der Provinzialversammlung kommen, kannst du ausschweifend werden, aber nicht vor dem Statthalter.

Ich hoffe, der Bote wird nicht zu sehr durch das Wetter behindert, so dass du noch genügend Zeit für deine Anreise hast.

Vale

Lucius Petilinius Pertax.

P.S. Deine Cousine übersendet ebenfalls Grüße


Der Brief war nicht gerade überschwenglich. Bassa schrieb ihm ja auch in ihrer sorgfältigen Kinderschrift. Sie schien sehr zufrieden zu sein. Pertax sollte es auch sein, sie war schließlich eine Furia und das war mehr, als er erhoffen konnte. Sie war zwar dumm wie Brot, aber sie würde ihm gesunde Kinder schenken, und das war doch die Hauptsache. Nach den Kindern konnte er sich wieder scheiden lassen; auf jeden Fall wäre Saturninus dann noch über Pertax Kinder mit ihm verbunden. Auf den Gedanken, dass er Bassa zur Bluttransfusion herumreichte wie ein willenloses Wesen, kam Saturninus gar nicht. Sein Mündel war ihm gleich, solange es ihm keine Schande machte.

Zumindest gab Pertax gute Hinweise, wie er, Saturninus,  die Geduld des Legaten Augusti beim ersten reservierten Gerichtstermin nicht überstrapazierte. Petilius Rufus würde entscheiden, ob die Volksversammlung Gericht über den Angeklagten hielt und dann nur noch das Todesurteil unterschreiben. Daher hatte Saturninus  erst einmal nur Valentinus und die  beglaubigten Abschriften aus Calleva mitgenommen, die bewiesen, dass dieser Tarutius Corvus nicht der echte Tarutius Corvus war. 
Aber auch Saturninus ging ein Risiko ein. Gesetzt den Fall, dass der Statthalter zu einer ganz anderen Schlussfolgerung käme, könnte Corvus ihn widerrum wegen widerrechtlichem Festsetzen und Folter eines römischen Bürgers verklagen. Daher musste sich der Ankläger seiner Sache gewiss und die Angelegenheit ihm auch wichtig genug sein. 

"Kann es sein, dass der Name Tarutius Corvus Unglück bringt?", fragte der Furius halblaut, sprach aber mehr zu sich selbst als zu jemandem anderem. Der erste dieses Namens war ein Toter, und derjenige, der ihn gestohlen hatte,  würde es vielleicht auch bald sein.  
Der Furius  begegnete Valentinus Blick unter der weit ins Gesicht vorgeschobenen Kapuze. Der junge Mann zitterte vor Kälte, aber hob die Dokumentenmappe, die ihm anvertraut war, ein Stück, als wolle er damit eine Antwort geben.
Saturninus lenkte wie die vergangenen Tage so oft sein Pferd an den vergitterten Wagen und warf einen Blick auf seinen Gefangenen. Ihm musste kalt sein. Er sollte nicht erfrieren, er sollte leben! Sonst wäre das hier alles umsonst. Das römische Recht verurteilte keine Toten.



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Honoratior von Iscalis
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01-12-2025, 06:43 PM,
Beitrag #2
RE: [Iscalis nach Londinium] Der Gefangene des Winters
Ich hatte viele Winter in Britannien erlebt, aber nie einen aus dieser Perspektive: gefangen in einem Käfig, der kaum Schutz bot, auf einem Karren, der bei jeder Bewegung schmerzlich ruckelte. Die Kälte kroch mir in die Knochen, schärfer und erbarmungsloser, als ich es erwartet hatte. Sie kroch durch jede Faser, jede Pore meiner Haut, bis tief in mein Innerstes. Ich zitterte unkontrolliert, meine Zähne schlugen aufeinander, und dennoch spürte ich kaum noch etwas außer diesem schneidenden Frost.
Ich zog die Beine an meinen Körper und schlang die Arme darum, ein verzweifelter Versuch, die Wärme zu halten, die längst verschwunden war. Der Atem kam flach, kleine Wolken, die in der kalten Luft schnell verschwanden. Es war, als hätte selbst mein Körper beschlossen, mich aufzugeben.

Lass mich erfrieren. Der Gedanke kam immer wieder, fast wie ein Gebet. Wenn es ein Ende sein musste, warum dann nicht jetzt? Die Kälte würde mich sanft umhüllen, mich langsam wegtragen, bis nichts mehr blieb.

Das Knarren der Räder und das Trampeln der Ochsen waren die einzigen Geräusche. Selbst die Wachen schwiegen, ihre Gespräche waren verstummt, erstickt von der frostigen Luft. Saturninus ritt wieder näher heran, sein Schatten fiel auf mich. Ich spürte seinen Blick, wusste, dass er mich beobachtete, doch ich konnte nicht aufsehen.
Meine Hände krampften sich um die Knie, ein automatischer Reflex, mehr nicht. Meine Gedanken waren fern, irgendwo in einem wärmeren Ort, an einem Feuer, das nur in meiner Erinnerung existierte.
Warum nicht jetzt? Warum nicht hier?
Ich ließ den Kopf sinken, spürte die raue Kälte des Eisens an meiner Wange. Die Welt verblasste. Alles war nur noch Frost und Dunkelheit.
Furius Saturninus' Stimme drang plötzlich an mein Ohr. Eine weitere Frage, die er mir stellte -glaubte ich zunächst. Doch eigentlch war es eine Frage, die er sich selbst stellte.
Dennoch bewegten sich meine Lippen. Meine Stimme kam brüchig. Sie war kaum mehr als ein Flüstern: "Das Unglück liegt nicht im Namen. Vielleicht in der Nachlässigkeit des Mannes, der ihn mir gegeben hat." Dann schwieg ich wieder, ließ die Worte im Wind verwehen, wie alles andere auch.
[Bild: 3_16_10_23_1_09_34.png]
Als "Lucius Tarutius Corvus"
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Falke
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01-15-2025, 04:22 PM,
Beitrag #3
RE: [Iscalis nach Londinium] Der Gefangene des Winters
Saturninus ließ den Zug stoppen: "Bringt dem Mann Decken und gebt ihm einen Schluck heißen Wein!", ordnete er an: "Es bringt mir so gar nichts, wenn der Gefangene schon abkratzt, bevor wir Londinium erreichen!"
Er hatte jedoch zugehört, was Corvus sagte. Der Junge lehnte den Kopf an eine der Gitterstäbe. Die Kälte zeichnete ein weißes Dreieck um Nase und Mund. Er hatte geredet, denn eine kleine Atemwolke waberte von ihm weg.
Ein schnell entzündetes Feuer wärmte etwas Wein auf. Mit der Kelle voll des heißen Getränkes in der Hand näherte sich Saturninus,  in seinen langen weichen Kapuzenmantel gehüllt, seinem Gefangenen:

"Wer war nachlässig, als er dir deinen römischen Namen gab? ", fragte er:
"Wer hat ihn dir gegeben? Doch nicht die beiden Alten in Londinium, deine Pflegeltern?"
Er hob die Kelle:
"Ich will nur, dass du mit mir redest, Corvus" Er konnte ihn einfach nicht anders nennen, obwohl der Gefangene es nicht verdiente, einen römischen Cognomen zu tragen.
"Trinke jetzt! Aber langsam, damit du dir nicht den Mund verbrennst"
Saturninus kippte die Kelle etwas schräg, damit Alun an die Flüssigkeit kam.
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Honoratior von Iscalis
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Heute, 12:21 AM,
Beitrag #4
RE: [Iscalis nach Londinium] Der Gefangene des Winters
Plötzlich hielt der Karren an. Waren wir etwa schon in Londinium? Nein, das war unmöglich. Wir waren noch nicht lange genug unterwegs, um dort zu sein. Doch ich hatte kein Interesse, den Kopf zu heben und nachzusehen, warum der Wagen zum Stehen gekommen war. Meine Glieder fühlten sich an, als gehörten sie nicht mehr zu mir – schwer, taub, leblos.
Dann drang die Stimme des Furius an mein Ohr, wie gewohnt hart und befehlend.
Ein einziges Wort blieb in meinem Kopf hängen, und ich wiederholte es. Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern: "Decken." Ein bitteres Lächeln zuckte über meine Lippen, so flüchtig wie der letzte Atemzug eines Sterbenden.

Wenig später öffnete sich der Käfig. Einer seiner Männer warf mir ein paar Decken zu. Meine Finger griffen nach dem groben Stoff, die Bewegung mehr Instinkt als Wille. Der Überlebensdrang, der sich an die schwächsten Funken klammerte, war noch nicht erloschen.
Ich wusste, warum er das tat. Es ging nicht um Gnade. Er wollte mich am Leben halten, damit ich vor den Statthalter gezerrt werden konnte – ein Schauspiel, das mit meinem Tod enden würde.

Als der Römer schließlich an das Gitter meines Käfigs trat und mich fragte, wer nachlässig gewesen sei, als ich meinen römischen Namen bekommen hatte, beschlich mich ein ungutes Gefühl. War ich so tdumm gewesen, meine Gedanken laut auszusprechen? Hatte die Kälte meinen Verstand betäubt und meine Zunge verräterisch gemacht?
Ich blickte erschöpft und widerwillig auf. Er hielt mir eine Kelle mit dampfendem Wein entgegen, die er leicht schräg neigte. Ich trank und das heiße Getränk brannte in meiner Kehle und brachte ein flüchtiges Gefühl von Leben zurück.

"Meine Mutter nannte mich Alun," begann ich, meine Stimme rau und tonlos. "Es bedeutet kleiner Fels. Doch für sie war ich nie ein Halt. Ich war das, was sie an das Leben kettete, obwohl sie längst keinen Mut mehr dazu hatte."
Ich zog die Decke enger um mich, spürte, wie die Kälte langsam zurückwich. "Sie war eine der jungfräulichen Priesterinnen von Mona. Doch die Römer... einer von euch..." Meine Worte stockten, denn der Kloß in meiner Kehle schnürte mir den Atem ab. "Er nahm ihr alles. Ihre Jungfräulichkeit. Ihren Glauben. Ihre Würde und ihren Mut. Und mich setzte er ihr als Fluch in ihren Leib. Danach ritzte er seine Initialen in ihren Rücken."

Mein Kopf sank wieder gegen das kalte Eisen. "Als ich sieben war, ging sie. Sie stürzte sich von einem Felsen hinunter ins Meer, und ich blieb. Warum ich noch da war, habe ich nie verstanden, wenn sie es nicht sein konnte."
Die Worte wurden leiser, fast nur noch für mich selbst. "All die anderen, die aus der Schande heraus geboren worden waren, wurden von ihren Müttern geopfert... direkt nach der Geburt.  Aber nicht mich. Doch meine Mutter rang mir ein Versprechen ab, bevor sie starb. Ich sollte sie rächen!"
Ich trank erneut von dem heißen Wein und ließ die Wärme meine Kehle hinabfließen. "Nach ihrem Tod nahm mich ein überlebender Druide auf. Er lehrte mich alles: Schreiben, Lesen, Latein. Er lehrte mich alles, was ich über euch wissen musste. Er zeigte mir, wie ich euch durchschauen konnte, wie ich euch schaden konnte. Er gab mir meinen römischen Namen. Der Name eines toten Jungen. Der Sohn einer keltischen Mutter und eines römischen Vaters. Beide waren tot."
Ich hielt inne, sammelte meine brüchige Stimme. "Er schickte mich zu meiner vermeintlichen Tante in Londinium, die mit einem Römer verheiratet war. Aber offensichtlich er hat es nie für nötig gehalten, die Urkunden in Calleva richtig zu fälschen. Oder vielleicht war es Absicht."
Meine leeren kalten Augen wanderten zu Furius Saturninus. "Was denkst du, Römer? War es Nachlässigkeit oder Berechnung?"
[Bild: 3_16_10_23_1_09_34.png]
Als "Lucius Tarutius Corvus"
[Bild: 1_22_10_22_8_56_52.png]
Falke
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