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Bibliothek | Letzte Erinnerungen
02-26-2025, 05:35 PM,
Beitrag #1
Bibliothek | Letzte Erinnerungen
Die Tage waren kalt und trüb. Immer war Seneca zu kalt und zu dunkel, und in den Momenten, in denen er sich erinnerte, wie man sprach, beschwerte er sich darüber. Ansonsten saß er in der Bibliothek, schaute auf die vielen Schriftrollen dort, die ihm irgendwie Trost spendeten und mit einer stillen Sehnsucht erfüllten. Aber er wusste nicht mehr, wieso. Es war irgendetwas wichtiges, daran erinnerte er sich manchmal, aber was es war, das war weg. Wie das meiste einfach nicht mehr da war.
Ab und zu kamen Bilder, Namen und andere Erinnerungen, meist ungebeten. Manchmal weinte er, ohne sich daran zu erinnern, was er soeben noch gedacht und was ihn mit diesem Schmerz erfüllt hatte. Und manchmal ärgerte er sich einfach nur über alles, verfluchte die Götter, verfluchte das Haus, verfluchte sich selbst für seine Schwäche.


An diesem Tag saß er ruhig da und besah sich die Schriftrollen. Er hatte ein Buch schreiben wollen, erinnerte er sich. Aber worüber, wusste er nicht mehr. Aber ohnehin, es blieb keine Zeit mehr. Mors Letus wartete schon in der Ecke, stumm die Flügel gefaltet, als Schatten. Nein, es blieb keine Zeit mehr.
Seneca holte tief Luft und dachte über sein Leben nach. Über das, an was er sich davon erinnerte. Neben ihm saß ein Mädchen, eine Sklaven. Das Ziel all seiner Schmähungen und der Lichtblick jedes Tages, wenn sie ihm zu Hilfe kam, ihn tröstete und ihn zudeckte. Er wusste ihren Namen nicht mehr, sofern er ihn je gewusst hatte.
“Ich bin müde“, sagte er nur, und sofort half sie ihm geduldig und langsam, aus dem Korbsessel aufzustehen und die paar Schritte auf die sehr bequeme Liege zu machen. Sie half ihm dabei, die Beine auf die Liege zu bekommen, und deckte ihn sanft zu. Sie war ein gutes Mädchen. Zumindest heute. Zum letzten Mal heute. Vielleicht.
Er legte seinen Kopf auf die Kissen und dachte noch einmal nach, ob er etwas vergessen hatte.
Kurz schreckte er auf und sah das Mädchen mit großen Augen an. “Sag meiner Tertia, dass mir das mit ihrem Baby leid tut. Ich weiß, das nützt jetzt auch nichts mehr, aber es ging nicht anders. Und ich hoffe, dass sie mir das verzeiht.“ Es war ihm wichtig, und die Sklavin nickte freundlich, als sie noch einmal die Decke gerade zog.

Gut, Seneca war beruhigt und nahm noch einen bewussten, tiefen Atemzug, ehe er die Augen schloss und schließlich einschlief.



Und nicht mehr erwachte.
[Bild: 3_15_08_22_9_36_30.png]

Honoratior von Iscalis
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02-27-2025, 05:11 PM,
Beitrag #2
RE: Bibliothek | Letzte Erinnerungen
Als Morwen feststellte, dass der alte Mann nicht mehr aufwachte, schrie sie laut um Hilfe, bis schließlich der Hausstand soweit versammelt war. Leander war gerade bei den Claudiern, weshalb Phineas losgeschickt wurde, vor der Villa Claudia auf ihn zu warten und ihn dann sofort herzubringen, sobald er hinauskam.

Die Abholung des Hundes wurde von Leander also einstweilen verschoben und er eilte nach Hause, wo sein Vater immer noch in der Bibliothek friedlich auf der Liege lag und die schluchzende Morwen inzwischen von den anderen Sklaven getröstet wurde. Leander trat ruhig und würdevoll zu dem Toten, beugte sich einmal über ihn und gab ihm einen angedeuteten Kuss auf die Stirn. “Möge die Erde dir leicht sein, alter Freund“, sagte Leander leise zu ihm und nahm sich einen Moment, über ihrer beider gemeinsames Leben nachzusinnen, ehe er die nötigen Maßnahmen anordnete.
Alle im Haus würden Trauerkleidung tragen. Ein Trauerkranz wurde an die Tür gehängt, damit die Nachbarn Bescheid wussten, und Leander ordnete an, dass alle sich für die nächsten drei Tage den Bart stehen und die Haare nicht kämmen sollten, als Zeichen der Trauer. Frische Spelzen und Stroh wurde überall auf den Boden ausgestreut, um die Unreinheit des Todes aufzunehmen.
Es wurde ein professioneller Bestatter herbeigeholt, der den Toten mit seinen Gehilfen wusch und einbalsamierte, während Klageweiber lautstark heulten und weinten. In Rom hätte es dafür professionellere Auswahl gegeben, aber Leander nahm, was vorhanden war. Eine Totenmaske wurde vorsichtig angefertigt und mit allerlei Zusätzen versehen, auf dass sie lange halten würde und nicht so leicht schmelzen. Zuletzt wurde der Tote aufgebahrt für die von Leander angesetzte Trauerzeit von drei Tagen, in der alle, die wollten, Abschied nehmen konnten. In Rom hätte es hierfür vermutlich einen größeren Andrang gegeben, hier in Iscalis, wo Seneca jede Person möglichst fern zu halten versucht hatte, war der Andrang eher überschaubar.

Zuletzt wurde in einer kleinen Zeremonie der Leichnam vor die Mauern der Stadt getragen und dort auf einem ansehnlichen Scheiterhaufen schließlich bei Einbruch der Dunkelheit verbrannt. Auch wenn es kalt war, harrte Leander so lange aus, bis zum nächsten Morgen das Feuer heruntergebrannt war und die Glut erloschen. Dann sammelte er eigenhändig die hinterbliebenen Knochen und legte sie sorgfältig in die bereitgehaltene Steinurne, die schließlich ganz zuletzt mit Wachs dicht versiegelt wurde.
Da die Plautier in Britannia kein angemessenes Grabmahl hatten, würde Leander die Urne mit nach Londinium nehmen und dort mitsamt einiger Sklaven der Villa nach Rom schicken, auf dass Senecas Töchter ihn im Mausoleum der Familie bestatten konnten.

Fürs erste aber war damit das Leben von Caius Plautius Seneca endgültig abgeschlossen und die offizielle trauer um ihn von Leanders Seite auch abgeschlossen.
Der Trauerkranz wurde abgehangen, die Streu und die Spelzen hinausgekehrt. Der gesamte Hausstand ging ins nächste Badehaus, um sich zu reinigen und die Bärte abscheren zu lassen und es wurden wieder Alltagskleider angelegt.
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03-05-2025, 02:19 PM,
Beitrag #3
RE: Bibliothek | Letzte Erinnerungen
Wenn Seneca die letzten Monate auch äußerst zurückgezogen gelebt hatte (noch zurückgezogener als zuvor, dachte Saturninus) , so war er doch Honoratior der Stadt und auch eine der wenigen Persönlichkeiten, die über die Grenze der Civitas hinaus bekannt waren. Der Furius hatte vor dem Alten großen Respekt gehabt; so wie ihm die römischen Gesetze überhaupt eine Art heilige Scheu einflößten. Sie waren das Römischste, was es im Imperium gab, andere Völker mochten Großartiges leisten; nur Rom jedoch hatte diese Gerechtigkeit ( jene Scheu hinderte Saturninus aber keinesfalls daran, Gesetze zu umgehen, wenn es in seinen Augen nottat)
So traf auch der Princeps Officii in Trauerkleidung ein. Gleichzeitig mit ihm erschienen die beiden Bürgermeister Numonius Pusinnus und Vergilius Capito, der Vorsitzenden der Kooperative der Notare, Antonius, und sei eigener Provinzialschreiber Valentinus , so dass es an der Haustür mit den aufgehängten Trauerkranz aus Pechkieferzweigen, der verkündete, dass das Haus durch einen Todesfall unrein geworden war, einen kurzen Stau gab, bis die würdigen Herren dann einer nach dem anderen das Gebäude betraten. 
Es war alles wie es sein musste; Um die Bahre standen die Leidtragenden und die Klageweiber, welche zu Flöten- und Saitenspielbegleitung einen Gesang vortrugen, in dem der Tote beklagt und gepriesen wurde, und der Verstorbene verkörperte auch im Tode den würdevollen Römer und Rechtsgelehrten, der er gewesen war.
Drei Tage später nahmen Saturninus und auch andere Bürger der Stadt an dem zwar kurzen, aber eindrucksvollen Trauerzug teil. Plautius Leander erfüllte dabei die Pflicht eines guten Sohnes: Bis zum Morgengrauen harrte er am Scheiterhaufen aus, auf dem der Tote verbrannt worden war.
Der Furius sah in das Feuer. Vale, werter Plautius Seneca, sprach er leise. Auch wenn dir die Bücher mehr bedeuteten als die Menschen;  ich habe deine Weisheit sehr geschätzt, und du wirst dieser Stadt sehr fehlen.

Dann nach dem Licet ließ sich Saturninus mit einem Zweig mit Wasser besprengen, um wieder kultisch rein zu sein.
Auf dem Heimweg erinnerte er sich an das Begräbnis seines eigenen Vaters, das auch gleichzeitig das Begräbnis seiner Mutter gewesen war. Er war damals erst siebzehn gewesen und dann plötzlich der Pater Familias der Furier. Außer ihm war kein Mann mehr da, der das hätte sein können. Es war immer schwer, ganz gleich in welchem Alter. Der Furius fühlte mit Plautius Leander mit, der gerade seinen Vater verloren hatte.
[Bild: 3_18_08_22_2_20_05.png]
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Honoratior von Iscalis
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