RE: Große Halle
Anwen stand neben Cathbad, das Gesicht von dem Schatten ihrer Kapuze halb verborgen, als sie die Worte des jungen Königs Cahir hörte. Sie konnte die Beklommenheit in der Halle spüren, das zaghafte Zittern in den Herzen der Anwesenden, als Cahir mit fester Stimme das Gebot der Götter akzeptierte. Sie war stolz auf ihn, aber in ihrer Seele regte sich auch das Echo der Verantwortung, die sie als Dienerin der Göttin Andraste trug.
Als Cahir fragte, wann das Ritual stattfinden solle, spürte sie die Kälte, die sich in der Luft verdichtete. Der Gedanke an das Opfer lastete schwer auf ihnen allen. Aber sie, Anwen, wusste, dass es unvermeidlich war. Die Götter verlangten ein Zeichen der Loyalität, ein Geschenk des Blutes, um den Boden zu segnen und den Krieg gegen Rom mit ihrer Gunst zu erfüllen.
Cathbad antwortete in seinem vertrauten, beinahe ehrfurchtgebietenden Ton, doch es war an Anwen, den Ort des Rituals zu benennen. Sie trat vor, als die Stille der Halle erdrückend wurde. Ihre Augen suchten die Cahirs, den König, der bereit war, seinen Sohn zu opfern, um sein Volk zu schützen. In diesem Augenblick fühlte sie sich selbst als Brücke zwischen den Welten – der irdischen und der göttlichen, zwischen Leben und Tod.
"Das Opfer wird im Moor dargebracht," begann Anwen, ihre Stimme klang fest, aber klar, wie das Echo der Götter selbst. "Die Moore sind die heiligsten Orte unserer Vorfahren, die Schwelle zwischen den Welten. Dort, wo die Erde das Wasser umarmt, sind die Götter uns am nächsten." Ihre Worte hallten in der Stille der Halle nach, und die Augen der Krieger vor ihr weiteten sich, als sie die Bedeutung erfassten.
"Andraste verlangt das Blut eines Königssohns, und es muss an einem Ort fließen, der seit jeher der Macht der Götter geweiht ist."
Das Moor – die uralten Heiligtümer, wo die Seelen der Toten ruhten und die Götter wandelten – war der einzige Ort, an dem ein solches Opfer angemessen war. Die Priesterin wusste, dass die Götter dort sprechen würden, dass Andraste ihren Willen kundgetan hatte.
"Dort, wo das königliche Blut vergossen wird, an der Schwelle zwischen Leben und Tod, zwischen den Welten, wird die Göttin uns ihren Segen gewähren," fuhr Anwen fort. "Das Moor wird den Sohn des Königs verschlingen, und Andraste wird unsere Feinde zerschmettern. So war es immer, und so wird es auch jetzt sein."Anwen ließ die Bedeutung ihrer Worte auf die Anwesenden wirken. In ihren Augen flackerte der kalte Glanz der Entschlossenheit – sie wusste, dass das Opfer unvermeidlich war.
Die Männer, die zuvor noch laut ihre Treueschwüre gerufen hatten, verstummten erneut. Sie wussten um die Bedeutung der Moore. Sie wussten, dass diese heiligen Orte nicht nur die Götter, sondern auch die Erinnerungen ihrer Ahnen beherbergten. Die Opferung eines Königssohnes an solch einem Ort bedeutete, dass die Götter Albion selbst mit ihrem Blut segnen würden.
Cahir, der junge König, würde es tun – für sein Volk, für das Land. Und die Göttin Andraste würde ihnen den Sieg schenken, denn königliches Blut im Moor vergossen war das mächtigste Opfer, das sie erbitten konnte.
"Drei mal drei Nächte," wiederholte Anwen die rituellen Worte Cathbads, ihre Stimme wie ein Flüstern, das durch die Köpfe der Männer drang. "Am neunten Tag wird das Blut des Königssohnes das Moor tränken, und Andraste wird uns erhören."
Die Atmosphäre in der Halle war drückend, doch Anwen war sich sicher: Das Opfer würde geschehen, und die Götter würden ihr Urteil fällen. Der Krieg gegen Rom stand bevor, und es gab keinen Raum mehr für Zweifel.
Anwen hatte ihr ziel erreicht. Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und ging langsam zur Tür. Ihr blauer Mantel, der sie wie ein Bote der Anderswelt umhüllte, glitt leise über den Boden. Die Schritte der Priesterin hallten dumpf in der gespenstischen Stille, die sich über die Männer gelegt hatte. Zurück ließ sie die Anwesenden, deren starrer Blick von düsterem Nachdenken geprägt war.
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