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Normale Version: Cubiculum | Aglaias Privatzimmer
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Im hinteren Bereich des Hauses, abgetrennt von den öffentlichen "Arbeitsräumen", hat Licinia Aglaia ihr eigenes, kleines Reich. 
Im Raum befindet sich neben einem bequemen, ausladenden Bett und mehreren Kleidertruhen noch ein eigener Schminktisch, ein weiterer Tisch mit zwei sehr bequemen Korbsesseln und bestimmt ein Dutzend bunter Kissen an allen möglichen und unmöglichen Orten
Egon brachte einen Brief herein, auf dem eine einzelne, kleine, weiße Blume lag. Ich wartete, bis er wieder draußen war, ehe ich das Siegel brach und die Wachstafel dazu öffnete, während ich mit der anderen Hand mal an dem Blümchen roch und es mir ansah. Nach wirklich viel roch es nicht, aber es sah irgendwie niedlich aus, so weiß und unschuldig, und ich ahnte schon, von wem es kommen könnte, ehe ich den Brief auch nur gelesen hatte.

Ich wanderte ein wenig durch mein Zimmer, während ich so über die Zeilen ging und vor mich hinlächelte. Eigentlich hatte ich fast gedacht, dass er mir die Blume beim nächsten Besuch persönlich bringen würde, aber er wartete wohl auf eine Einladung, wenn ich das richtig las. Ich nahm einen Tonbecher und goss etwas Wasser ein, ehe ich das Blümchen hineinstellte. So würde es wenigstens ein paar Tage halten, und ich fand es wirklich niedlich.

Ich setzte mich an mein Tischchen und strich sorgsam das Wachs der Tafel wieder glatt, ehe ich mir meinen Stylus schnappte und mit gekonntem Schwung eine Antwort schrieb.
Es war in der Zwischenzeit schon eine gute Woche vergangen, seit ich Owain gekauft hatte. Wir hatten uns viel in der Zeit unterhalten. Na gut, ich hatte viel geredet, und er hatte mir noch ein paar keltische Worte beigebracht. Und ich ihm wahrscheinlich ziemlich viele lateinische, weil ich so viel redete, zumindest am Anfang. Langsam wurde ich ruhiger.
Und ich hatte ihm alles gezeigt, was es hier im Haus so zu sehen gab. Vor allen Dingen die Heizung schien ihn interessiert zu haben, zumindest hatte er sie sich ausführlich erklären lassen. Und ich unterhielt mich mit ihm, soweit das ging, über die schmiede, was wir brauchen würden, was er für Gedanken dabei hatte. Der Glanz, den seine Augen dabei bekamen, den fand ich wunderschön.

Aber auch andere Sachen lernten wir voneinander. Ich wusste ziemlich genau, was ich mit meiner Zunge tun musste, damit er anfing, in seiner Muttersprache zu murmeln, und ab welchem Winkel er anfing, zu seinen Göttern zu beten, wenn ich auf ihm saß. Und er wusste, wenn er mich auf den Bauch gedreht hatte und mich in die Kissen dabei drückte, wann ein gut platzierter Biss in meinen Nacken mich zielsicher über die Schwelle brachte, oder wie leidenschaftlich er mich an sich ziehen durfte, dass wir beide vergnügen empfanden. Aber so wirklich fertig machten mich eher die ruhigen Momente, wenn wir einander ganz nah waren, die Bewegungen sanft, wir uns küssten und er seine Finger mit meinen verschränkt hatte. Wenn er mich l… nein, ich konnte das Wort nicht denken. Ja, er fühlte sich zu mir hingezogen, und ich fühlte mich so sehr zu ihm hingezogen, dass ich gerade meine Arbeit etwas vernachlässigte. Gerade war mir doch sehr bewusst, dass ich meine Kunden zwar gern hatte, aber nicht so wirklich, wirklich, wirklich begehrte. Oh, die meisten davon waren nicht schlecht und sie waren freundlich und trugen mich auf Händen, und ich bekam Geschenke und Aufmerksamkeit und alles, was ich mir wünschte. Aber… keine Ahnung, irgendwas fühlte sich gerade anders an. Und das machte mir Angst.

Jetzt lag ich auch neben Owain. Seine Haut war noch leicht verschwitzt, und meine wohl auch, und ich hatte mich an seine Schulter gekuschelt, den Kopf leicht auf seiner Brust, und genoss den Geruch, den er verströmte, und seine Wärme, während ich mich noch an ihn schmiegte und kleine Nachbeben durch meinen Körper gingen. In diesen Momenten fühlte ich mich sicher. Ruhig. Still. Auch das war etwas, was mich, wenn ich darüber dann anfing, nachzudenken, ängstigte.
Eine Weile ließ ich meine Gedanken treiben. Natürlich überlegte ich, was mit mir los war, und natürlich kam ich da auch zu dem ein oder anderen Schluss. Aber ich wusste es nicht. Und weil ich es nicht wusste, fühlte ich mich dann manchmal doch sehr klein und zerbrechlich und mir wurde mal wieder bewusst, wie anders mein Leben war, als es normalerweise war.
Meine Finger malten Kreise auf Owains Brust. “Owen?“ fragte ich leise, denn manchmal schlief er danach auch recht schnell ein. Vor allen Dingen, wenn es für uns beide gut war. “In deinem Leben früher…. Warst du da einmal verliebt?“
Bislang hatte ich ihn noch nicht wirklich nach seinem früheren Leben gefragt. Ich wusste, dass er Schmied war und eine eigene Schmiede gehabt hatte, aber sonst hatte ich ihn nicht nach seinem Leben ausgefragt. Insbesondere hatte ich ihn nicht gefragt, wie er da auf das Podest gelangt war. Es war nicht wirklich wichtig, denn ich glaubte, dass er mir nichts tun würde. Nein, ich war mir da sogar sehr sicher, auch wenn das vielleicht naiv war. Und vielleicht war meine frage jetzt nicht die ideale, um damit zu beginnen, über seine Vergangenheit zu reden. Aber das, was ich fragen wollte, konnte ich wohl nur ihn fragen. Und es war sicherer, ihn da nach seiner Vergangenheit zu fragen und nicht nach der Gegenwart. Ich wollte ihn nicht fragen, ob er mich liebte. Die Antwort würde mir Angst machen. Wenn er ja sagte, wusste ich nicht, ob ich ihm glauben sollte, und wenn er nein sagte… ich wusste nicht, was dann wäre, aber es fühlte sich kalt an. Nein, ich wollte das jetzt nicht wissen. Ich wollte nur seine Vergangenheit, nicht die Gegenwart.
Inzwischen hatte ich mich schon etwas eingelebt. Das römische Leben hatte tatsächlich so seine Vorzüge, hatte ich gelernt. Warmes Wasser und Heizung waren nur ein Teil dessen, was ich inzwischen zu schätzen gelernt hatte. Sie hatten auch unterschiedliche Zimmer für unterschiedliche Funktionen. Ein Zimmer in dem man schlief, ein Zimmer in dem man aß und in Gesellschaft sein konnte. Ja, inzwischen hatte ich herausgefunden, was ein Triclinium war! Die Römer bannten ihre Geschichten in geschriebene Wörter auf Papier. So konnte man sie immer und immer wieder lesen. Allerdings konnte ich beides nicht, weder lesen noch schreiben. Doch ich konnte der Domina, so nannte ich sie inzwischen, meine Geschichten erzählen, ohne dass ich lesen musste. 
Sie war immer noch wissbegierig und wollte immer mehr keltische Wörter hören. Aber auch ich machte langsam Fortschritte. Ihr vieles Geplapper sorgte dafür, dass ich mit lateinischen Begriffen regelrecht zugeschüttet wurde. Immer blieb etwas hängen und so erweiterte sich mein Wortschatz stetig.

Aber auch wir hatten uns noch weiter kennengelernt und wussten nun voneinander, wo die Vorlieben des anderen jeweils lagen. So wurden unsere gemeinsamen Nächte und die gemeinsamen Stunden am Tag zu wahren Sternstunden der Lust. Ja, ich war verrückt nach ihr und ich konnte mir auch gar nicht mehr vorstellen, ohne sie zu sein. Ich hätte wirklich alles für sie getan, wenn sie es mir gesagt hätte. Doch meistens überlies sie mir selbst die Entscheidung. Das hatte den Vorteil, dass ich sie immer und immer wieder überraschen konnte.
Ich dankte den Göttern, dass das Schicksal mich hierher geführt hatte. Man hörte ja immer wieder schlimme Gechichten darüber, wie manche Römer ihre Sklaven behandelten. Ich hätte es wirklich nicht besser treffen können! Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich einmal solche Gefühle für eine von ihnen entwickeln könnte. Ich hoffte nur, dies würde mir nicht irgendwann einmal zum Verhängnis werden. Ich wusste nicht, ob man das schon Liebe nennen konnte, was ich für sie empfand. Am Anfang war es einfach nur die pure Lust gewesen. Ihr Aussehen und ihr Gebahren hatten mich von ersten Tag an erregt und eingentlich tat es das immer noch. Doch inzwschen war noch etwas anderes hinzugekommen. Etwas, was ich nicht richtig fassen konnte.


Erst wenige Minuten zuvor hatten wir uns wieder getrennt, nachdem wir uns gerade innig geliebt hatten. Ich war noch ganz verschwitzt und meine Atem hatte sich wieder beruhigt. Ich fühlte mich wohl, noch eine Weile bei ihr zu liegen. Ich hatte dabei die Augen geschlossen und genoss einfach den Augenblick. Sie lag auf meiner Schulter und ich hatte im einen Arm um sie gelegt. Hin und wieder küsste ich ihre Stirn und sie tat, was sie oft tat, wenn wir uns gegenseitig unserer Lust ergeben hatten. Mit ihren Fingern malte sie wieder Kreise auf meine Brust. Ich wusste, wenn sie das tat, hatte sie etwas auf dem Herzen oder es beschäftigte sie etwas. 

"Hmm?", brummte ich und schlug die Augen wieder auf, nachdem sie meinen Namen sagte. Die Frage, die sie mir dann stellte, ließ mich einmal tief durchatmen. Bisher hatte sie es peinlichst vermieden, nach der Zeit 'davor' zu fragen. Doch jetzt tat sie es zum ersten Mal. Ich wollte ehrlich sein und gab ihr eine ehrliche Antwort. 
"Ja, ich war verliebt. Ich hatte Frau. Ich war mit ihr zusammen, seit wir Kinder waren." Ich hatte Bryn schon als Junge gern gemocht. Als wir älter wurden, war daraus noch etwas mehr geworden. Jeder wusste, dass wir eines Tage heiraten würden und das hatten wir dann auch getan.
Er hatte eine frau gehabt, die er wohl sehr geliebt hatte und mit der er sein ganzes Leben verbracht hatte. Irgend etwas in meiner Brust stach auf einmal ganz schrecklich und mein Mund fühlte sich trocken an und hatte gleichzeitig einen ganz bitteren Geschmack. Kurz stockte meine Hand damit, die Kreise zu malen. Ich schloss kurz die Augen und drängte das, was auch immer gerade das war, was mich so aus dem Konzept brachte, wieder hinunter. Ich meine, was hatte ich erwartet? Es war eindeutig, dass Owain nicht unerfahren war, und ich hatte ihn ja auch gefragt in der Annahme, dass die Antwort ein Ja sein würde. Weil normale Menschen sich eben irgendwann einmal verliebten, wenn sie jung und frei waren. Und die Kelten waren wohl freier als die Römer es je sein würden. Barbarischer, unzivilisierter, aber eben auch freier. Natürlich war er da schon einmal verliebt gewesen.
Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es wohl eine so tiefe und lange Liebe wäre. Ein Teil von mir wollte ihn da weiter fragen, nach seiner Frau, wer sie war, wie sie war, ob er sie noch immer liebte. Ein Teil von mir war offensichtlich ziemlich masochistisch veranlagt und wollte unbedingt Schmerzen leiden. Aber ich drängte das nach hinten und schluckte es runter.

Als ich die Augen wieder öffnete, hatte meine Hand ihre Bewegung wieder aufgenommen. Eigentlich wollte ich zu ihm aufsehen, aber ich konnte es in diesem Moment nicht. Keine Ahnung, warum, ich sollte es eigentlich können. Es gab keinen Grund, seinem Blick auszuweichen. “Wie fühlt sich das an?“ stellte ich also stattdessen die Frage, die mir seit Tagen im Kopf herumging. Wie fühlte es sich an, wenn man verliebt war? Woher wusste man, dass es DAS war, was man fühlte? Wie unterschied man es von anderen Dingen? War es das, was ich für ihn fühlte, oder etwas anderes? Ich wusste es nicht. Ich kannte das hier nicht. Und mit dieser Frage erzählte ich ihm wohl gleichzeitig eine ganze Menge auch über mich. Denn die meisten Menschen, die so etwas schon einmal erlebt hatten, würden so eine seltsame Frage wohl nie stellen.
Mir war schon bewusst, dass die Wahrheit manchmal weh tat. Offenbar hatte ich der Domina mit meiner Offenheit einen Stich versetzt. Sie hörte plötzlich damit auf, mit ihren Fingern Kreise auf meine Brust zu malen und schloss ihre Augen. Hatte sie denn wirklich geglaubt, es hätte keine andere Frau in meinem Leben gegeben? Vorher? Bevor sie mich zum Sklaven gemacht hatten?
 
Ich blieb einfach still liegen und starrte stattdessen an die Decke. Bryn war immer noch in meinem Herzen und da würde sie auch für immer bleiben. Ganz gleich ob ich sie niemals mehr wieder sehen würde. So sehr ich die Domina inzwischen liebgewonnen hatte, würde sie  aber niemals ihren Platz einnehmen kömmen.
Ich rechnete nun damit, dass eine Reihe Fragen auf mich einprasseln würden. Vielleicht würde sie auch ihre Beziehung zu mir überdenken wollen, denn über meine Gefühle würde sie niemals Herrin sein können. Eifersüchtige Frauen konnten zuweilen grausam sein.

Nach einer Weile aber öffnete sie wieder ihre Augen und ihre Hand nahm wieder ihre Bewegung auf. Aber sie schaute mich nicht an. Vielleicht war es immer noch dieser Stich, der sie schmerzte. Sie wollte dann auch nur wissen, wie es sich anfühlte. Ich musste einen Augenblick überlegen, bevor ich ihr eine Antwort geben konnte.

"Es ist, als macht dein Herz Sprünge, wenn du mit dem zusammen bist, den du liebst. Es wärmt das Herz und es geht durch ganze Körper. Du willst nie wieder ohne den sein, den du liebst." Ich versuchte es zu erklären. Wahrscheinlich hätte man es noch viel besser erklären können, aber dafür fehlten mir einfach die Worte.

"Ich weiß nicht, was aus Frau geworden ist. Weiß nicht, ob sie ist tot oder auch Sklavin, " sagte ich dann nach einer Weile und hatte dabei meinen Kopf von ihr abgewandt. Sie sollte nicht sehen, wie weh es mir tat, im Ungewissen zu sein. Ich hatte Angst davor, dass eines Tage meine Erinnerungen an sie verblassen würden. Dann wusste ich nicht mehr, wie sie duftete oder wie sie schmeckte. Davor hatte ich wirklich Angst!

"Warst du noch nie verleibt, Domina?" fragte ich nach einer Weile. Ich hatte mich wieder ihr zugewandt und küsste dabei ihre Stirn.
Ich hörte ihm zu, während er redete. Mir war klar, dass er nicht über mich sprach, sondern über seine Frau, und ja, es tat weh. Ich warf es ihm nicht vor. Ich hatte gefragt und ich wollte es ja wissen, um meine Gefühle einordnen und zuordnen zu können. Und ich versuchte, das, was er sagte, mit dem zu vergleichen, was ich fühlte. Ja, mein Herz machte manchmal seltsame Sprünge, aber nur manchmal, nicht immer, wenn wir zusammen waren. Und ich war mir auch nicht sicher, ob es durch den ganzen Körper ging. Es war mehr, als wäre da ein Loch gewesen, das ich bislang nie bemerkt hatte, und als würde das langsam mit etwas anderem gefüllt. Wie ein ständiges Ziehen in meiner Brust. Und wenn ich ehrlich war, dann war es nicht so, als könnte ich nicht mehr alleine sein oder gar nicht mehr mit anderen Männern intim werden. Ich war nur lieber bei ihm, genoss es mit ihm mehr, konnte mich mehr fallen lassen, konnte mir vorstellen, wie es wäre, wenn da keine anderen Männer wären, und es machte mir keine Angst, sondern fühlte sich schön an. Aber reichte das schon? Ich glaubte irgendwie nicht. Wahrscheinlich stimmte es, was alle Welt sagte, und Mädchen wie ich waren zu dem Gefühl nicht wirklich fähig. Und das, was ich fühlte, war vielleicht doch etwas anderes. Etwas, das ich auch nicht benennen konnte, aber eben nicht das, auch wenn ich gedacht hatte, es könnte so sein.

Er erzählte weiter von seiner Frau und den Sorgen, die er hatte. Auch das tat weh, aus mehreren gründen. Nein, ich war ihm wirklich nicht böse und nicht einmal wirklich eifersüchtig. Ein wenig, sicher, aber nicht rasend oder rachsüchtig oder so etwas. Mehr… traurig und mitleidig mit ihm. Traurig, dass ich das Gefühl bei ihm weder auslösen konnte, noch wohl nachfühlen konnte. Mitleidig, weil ich nicht wollte, dass er litt. Ich wollte, dass er glücklich war, und es machte mich traurig, dass er es bei mir nicht war.
Ich merkte nicht wirklich, dass ich von seiner Schulter auf das Kissen zurückrutschte und meine Hand nicht mehr um ihn lag, sondern um mich selbst, mich selbst leicht hielt gegen das leichte frösteln, das sich breitgemacht hatte. Ich fühlte mich ein wenig taub, als er mich fragte, ob ich noch nie verliebt war. “Ich heiße Aglaia“, flüsterte ich erst leise, denn ich mochte es nicht, wenn er mich Domina nannte. Ich glaube, Ida hatte ihm das beigebracht, oder vielleicht auch meine Mutter. Aber ich mochte die Bezeichnung nicht wirklich, denn sie machte die Kluft zwischen uns beiden nur noch mehr deutlich und alle Träume, die ich vielleicht haben mochte, wurden damit nur noch viel unmöglicher und surrealer, als sie sowieso waren. Unerreichbar und vielleicht ein wenig naiv.
Ich atmete durch und drehte mich auf den Rücken, legte eine Hand leicht auf meine Stirn und schaute zur Decke. “Du weißt, was ich bin, oder Owen?“ fragte ich ihn, ohne ihn anzusehen. Natürlich musste er das inzwischen wissen. Er war ja nicht blöd. Trotzdem redete ich weiter. “Meine Mutter hat sich selbst auch ihr ganzes Leben verkauft. Ich wusste immer, was ich werden würde. Das erste Mal verkauften sie und mein Großvater meine Jungfräulichkeit, da war ich dreizehn. An einen wohlhabenden Ritter, der fast drei Mal so alt wie ich war, aber viel Geld dafür zahlte.“ Ich schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Oh, der Kerl hatte mir nicht sehr weh getan. Nicht über das übliche Maß hinaus, hieß das, und ich hatte schlimmere danach gehabt. Aber meine Wahl wäre er nicht gewesen, und die meisten Männer danach auch nicht. “Ich habe gelernt, wie ich Männer ansehen muss, wie ich lachen und tanzen und musizieren und diskutieren und mich bewegen muss, um zu gefallen, zu reizen und zu verführen. Ich weiß, wie ich einem Mann das Gefühl gebe, der wichtigste Mann im ganzen Raum zu sein und ihn glauben zu lassen, dass ich mich zu ihm hingezogen fühle, selbst wenn es nicht so ist. So dass reiche und einflussreiche Männer dafür bezahlen, in meiner Gesellschaft zu sein. Dass sie mir Geschenke machen und Gefallen erweisen. Damit meine Familie in Sicherheit ist.“
Ja, das war das wichtigste. Meine Familie. Alle. Großvater. Mutter. Narcissus. Kiki. Fenya. Egon. Ida. Und jetzt auch Owain. Für alle diese Menschen trug ich mit meinem Handeln Verantwortung. Mein ganzes Leben lang. Ich musste meinen Teil beitragen, damit es allen gut ging. Es war egal, was ich darüber dachte und was ich dabei fühlte. “Nicht jeder von uns hat die Freiheit, sich zu verlieben“, sagte ich langsam und versuchte, die Bitterkeit dieser Worte hinunterzuschlucken.

Ich holte noch einmal tief Luft und versuchte, meine Gedanken von dem dunklen Pfad wegzulocken, auf den sie gleiten wollten. Selbstmitleid konnte ich mir genausowenig leisten wie Verliebtheit. Allerdings wusste ich von diesem wenigstens, wie es sich anfühlte, und konnte gegensteuern. Ich rieb mir kurz eine Schläfe und drehte dann den Kopf wieder in seine Richtung. Er schien auf einmal so weit weg zu sein. Vielleicht wäre es besser gewesen, nie von dem Thema anzufangen. Ich hatte gewusst, dass es die Seifenblase zum platzen bringen würde.
“Weißt du, wie der Mann hieß, der dich zum Sklaven machte? Der Anführer. Centurio. Oder Legat.“ Ich wusste nicht, wie viel er vom römischen Recht verstand, aber wir führten über ALLES Aufzeichnungen. “Und wie heißt deine Frau?“ Ja, die Worte versetzten mir wieder einen Stich. Aber das konnte ich tun. Wenn sie noch lebte, konnte ich mich nach ihr erkundigen und sehen, was aus ihr geworden war. Vielleicht konnte man sie sogar kaufen. Je nach dem, wie teuer das war. Es war zumindest ein Hoffnungsschimmer, den ich Owain geben konnte, auch wenn das bedeutete, dass ich das hier, was auch immer es war, dann aufgeben musste. Aber wenn er in Gedanken bei seiner Frau war, war ich mir auch nicht sicher, ob ich das hier überhaupt wollte. Ich wusste zu gut, wie man täuschte und was der Unterschied zur Wahrheit war. Ich war nicht naiv genug, um das für mich zu wollen.
Es war nicht zu übersehen,das etwas in ihr vorgegangen war, als ich ihr vom Verliebtsein erzählt hatte und dann, kurze Zeit später, weiter von Bryn, meiner Frau, gesprochen hatte. Sie hatte sich von mir zurückgezogen, lag nicht mehr auf meiner Schulter, sondern auf dem Kissen. Auch ihre Hand hatte sie zurückgezogen und hielt sie nun schützend vor sich. Es musste ihr so weh getan haben, dass womöglich etwas in ihr gebrochen war. Ich kannte einen solchen Schmerz sehr gut! Die ersten Tage, nachdem ich von Bryn getrennt war, dachte ich, ich müsse sterben oder den Verstand verlieren. Irgendwann hatte er nachgelassen, als die Gewissheit zu mir durchgedrungen war, dass ich sie niemals wieder sehen würde. Von da an, hatte ich mich in mich selbst zurückgezogen, wie es Igel taten. Von da an ließ ich alles mit mir geschehen. Alles um mich herum war mir gleichgültig geworden, denn nichts, außer meinen Erinnerungen vielleicht, hatte noch einen Wert.  So war es, bis ich zu ihr kam. Sie hatte alles verändert. Das war mir nun klar. Sie hatte es nicht verdient, dass sie nun so litt!

"Aglaia", wiederholte ich leise ihren Namen leise, denn sie wollte nicht, dass ich sie Domina nannte. Das hätte die Gräben zwischen uns nur noch weiter aufgerissen und irgendwann unüberwindbar gemacht. Ich hätte sie nun gerne wieder zu mir hergezogen, denn sie wirkte nun so verloren. 
Dann aber fragte sie mich, ob ich wüsste, was sie war. "Ja, ich weiß," antwortete ich und nickte. Das hatte ich spätestens am zweiten oder dritten Tag hier in ihrem Haus verstanden. Sie schlief mit verschiedenen Männern für Geld. Es war für sie ein ganz normaler Beruf, so wie es für mich das Schmieden von Schmuck gewesen war. Scheinbar machte sie ihren Beruf auch gut, denn sie hatte täglich Kunden, die zu ihr wollten. Ob ich das gut fand, das zu beurteilen stand mir nicht zu!
Sie sprach weiter und ließ scheinbar alles heraus, was ihr auf dem Herzen lag. Alles, was dazu geführt hatte, was sie heute war. Auch sie war verkauft worden. Noch schlimmer, sie wurde von ihrer eigenen Mutter und ihrem Großvater verkauft. Von da an war es zu ihrem Alltag geworden, dass sie ihren Körper für Geld hergab. Sie hatte gelernt, was sie tun musste, um Männer zu verführen. Das hatte ich am eigenen Leib erlebt. Und sie tat es für ihre Familie. Also auch für mich, denn ich gehörte ja nun auch dazu. Ich hatte mehrmals schlucken müssen, als sie so erzählt hatte. Als sie mir deutlich machen wollte, weshalb sie noch nie verliebt war. Was sollte ich dazu sagen? Sie bemitleiden, was für ein furchtbares Leben sie doch hatte? Nein, auch das stand mir nicht zu!
"Liebe kommt einfach, auch wenn du denkst, du kannst nicht lieben," sagte ich. "Schau einfach in dein Herz!" Ich nahm ihre Hand und führte sie zu der Stelle auf meiner Brust, wo mein Herz schlug.
Ihre nächsten Fragen überraschten mich dann. Die Frage, wer mich versklavt hatte, konnte ich ihr nicht beantworten. Ich kannte weder die Namen der Soldaten und deren Anführer, noch kannte ich ihre militärischen Ränge. "Ich weiß nicht. Es war alles so chaotisch. Sie kamen in Dorf und scheuchten alle aus Häuser heraus. Die jungen und kräftigen Männer und Frauen nahmen sie mit. Die Alten und Kinder, die zu klein waren, ließen sie zurück." Ich war an diesem Tag so froh gewesen, dass wir noch keine Kinder hatten!
Die Frage nach dem Namen meiner Frau hätte ich ihr beantworten hönnen, aber das wollte ich nicht. Sie sollte sich nicht noch mehr quälen und nach Bryn suchen müssen. "Fflur. Ihr Name war Fflur," sagte ich knapp. Fflur war der Name einer Sagengestallt, die von den Römern verschleppt worden war, als sie zum ersten Mal in Britannien gewesen waren. Ihr Geliebter hatte sie befreit und 6000 Römer getötet. Doch die Römer waren wieder gekommen und hatten sich bitter gerächt.
Nun zog ich sie ganz zu mir und legte meinen Arm um sie und küsste sie. "Du bist auch in mein Herz, denn du hast mich gerettet!" Dafür würde ich ihr ewig dankbar sein. Ganz gleich was passierte.
Die Art, wie er meinen Namen flüsterte, was fast zu viel. Es hörte sich an, wie ein geflüstertes Gebet. Ich schloss noch einmal kurz die Augen und versuchte, all das niederzukämpfen, was er in mir in Unruhe versetzte, und wieder zurück zu der ruhigen Gleichgültigkeit zu finden, die ich sonst immer gefühlt hatte. Und wahrscheinlich hatte er meine Frage falsch verstanden oder interpretierte da nun Dinge hinein, die so nicht stimmen konnten. Immerhin fühlte ich mich nicht so, wie er es beschrieben hatte, nur schrecklich verwirrt und rastlos und unvollständig und sehnsüchtig und…. Leer. Ja, das war es. Leer. Wie eine Amphore, die sich zum ersten Mal bewusst wurde, dass sie eigentlich gefüllt sein sollte, dass sie eigentlich einem besseren Zweck dienen sollte und eine andere Bestimmung hatte, die sich zum ersten Mal mit anderen Amphoren verglich und merkte, dass sie leer war. War es das, was ich fühlte? Leere?

Obwohl Owain noch einmal bestätigte, dass er wusste, was ich war, wandte er sich nicht von mir ab. Im Gegenteil, er nahm meine Hand und legte sie wieder auf seine Brust, stellte wieder eine Verbindung her. Und es fühlte sich warm und geborgen und nicht leer an, und ich wusste, dass ich dieses Gefühl wieder verlieren würde. Und allein dieser Gedanke ließ ein paar stumme Tränen über meine Wangen laufen, von denen ich hoffte, dass er sie nicht bemerken würde. “Mein Herz?“ wiederholte ich seine Worte. “Ich weiß nicht, ob ich so etwas habe“, flüsterte ich leise, ließ meine Hand aber auf seiner Brust und hörte zu, wie er von seinem Dorf erzählte. Als er sagte, dass sie die kleinen Kinder zurückgelassen hatten, zuckte ich kurz mitleidig zusammen. Flir. Ein seltsamer Name, fremdartig in meinen Ohren. Aber ich wollte ihn mir merken. Ich sollte die Frage nicht stellen, da sie mehr Schmerz beinhaltete, aber jetzt war ich so weit gegangen, aber ich musste.

Er hielt mich davon ab, indem er mich wieder in seine Arme zog und sagte, dass ich einen Platz in seinem Herzen hatte. Und verdammt, ich wollte es so sehr glauben, dass ich einen Moment die Beherrschung verlor und aufschluchzte, als er mich küsste. Ich gab nach, ließ die Schwäche zu und flüchtete mich in diesen Kuss und an seine Brust, küsste ihn mit einer Verzweiflung, die ich nie zugegeben hätte, und drängte meinen Körper an seinen warmen. Ich wollte einfach nur ein letztes Mal noch ihm nahe sein, ein letztes Mal noch seine Lippen so fühlen, ein letztes Mal mit meinen Händen durch sein blondes Haar fahren und mich ein letztes Mal noch da hinein flüchten und träumen und so tun, als könnte ich ein bisschen Leben für mich selbst haben.
Aber natürlich endete es irgendwann, wie alles irgendwann endete, und ich lag wieder ganz dicht an ihm, meine Hände noch in seinem Nacken streichelnd und meine Stirn an seine gelehnt, während mein Atem wieder ruhig ging. Ich wusste, dass ich ein wenig geweint hatte, und es war mir sehr peinlich, dass er das gesehen hatte. Aber trotzdem fühlte ich mich jetzt ein wenig stärker als noch zuvor. Stark genug, um auch den Rest des Weges zu schaffen.
“Owen…. Hast du Kinder?“ stellte ich die frage, die mir vorhin gedroht hatte, das Herz herauszureißen. Jetzt konnte ich die Worte aussprechen, ohne dass sie mir solche Angst machten. Immer noch genug Angst, aber einfach nicht mehr ganz so viel, wie vorhin. Und ich erwartete auch ein Ja als Antwort, denn immerhin hatte er mir gerade noch erzählt, dass er und Flir sich ihr ganzes Leben lang gekannt hatten. Sicher waren sie schon fünf oder noch mehr Jahre dann auch verheiratet und hatten an Nachwuchs gearbeitet. Ich rechnete ehrlich gesagt mit mehr als einem Kind, was es zwar irgendwie alles noch grausamer und schrecklicher machte, mir aber auch die Hoffnung gab, etwas für Owain tun zu können. Ich wollte, dass er wieder glücklich wäre. Wenigstens einer von uns hatte das verdient.
"Jeder Mensch hat Herz! Auch du!" versicherete ich ihr. "Du musst nur öffnen." Das war sicher leichter gesagt, als getan. Denn die meisten Männer, mit denen sie schlief, taten das, weil sie Lust oder Spaß haben wollten. Keiner ihrer Kunden liebte sie ihretwegen. Vielleicht hatte es noch nie jemanden gegeben, der sie wirklich liebte. Es tat mir so leid, sie so leiden zu sehen. Denn offenbar hatte ich ja all das in ihr ausgelöst. Sie hatte mich viel zu nah an sich herangelassen und ich hatte in ihr nicht die Hure gesehen, wie es vielleicht andere Männer taten, sie Zeit mit ihr verbrachten. Wie musste sich das nun für sie anfühlen? War es das, was sie so verzweifeln ließ und traurig machte?
Als ich sie zu mir gezogen hatte, ließ sie sich für einen Moment gehen und ließ das, was sie bedrückte, heraus. Sie flüchtete zu mir und ich wollte ihr gerne Zuflucht bieten. Sie wirkte so hilflos und von ihren Verführungskünsten war nichts mehr übrig geblieben. Ich verstand langsam, dass dies die wirkliche Aglaia war. Die, die sich unter all den Masken verbarg, die sie tagtäglich anlegte, um Aglaia die Hetäre zu sein. Ich hätte gerne noch viel länger die echte Aglaia so bei mir gehalten, damit sie nie wieder trauig sein musste oder sich vor etwas fürchtete. Sie hatte noch ein paar Tränen vergossen und war nun wirklich so verletzlich. Doch sie musste sich dafür nicht schämen. Ich wischte ihr Tränen mit meinen Fingern weg und wollte sie noch einmal küssen, aber dann stellte sie noch eine letzte Frage, die ihr wahrscheinlich alles abverlangt hatte. Die Frage nach Kindern. Ja, ich hatte mir immer Kinder gewünscht. Ganz viele sogar! Bryn war auch bald nach unserer Hochzeit schwanger geworden. Aber die Götter hatten nicht gewollt, dass unser Kind die diesseitige Welt betreten sollte. Es starb nach nur wenigen Monaten im Leib meiner Frau. Wir waren sehr verzweifelt gewesen und hatten und an den Gedanken geklammert, dass wir es in einigen Monaten wieder versuchen konnten. Doch dazu war es nicht mehr gekommen, was sich letztendlich als Glück im Unglück erwiesen hatte.
"Nein, wir haben kein Kinder." Vielleicht beruhigte sie das ein wenig und bereitete ihr keine weiteren schlechten Gefühle mehr. Oder erzeugte gar eine Verpflichtung, etwas  dagegen zu tun. "Du musst nichts tun! Du musst sie nicht suchen lassen! Fflur." Ich sah sie mit einem ernsten Ausdruck an. Sie sollte verstehen, dass dies nicht mein Wunsch war. Denn was würde meine Frau denken oder fühlen, wenn sie wüsste, was aus mir geworden war? Nein, dass sollte sie nicht erfahren müssen!
"Ich werden immer bei dir bleiben. Das ich versprechen! So lange du mich bei dir wollen." Selbst wenn sie mich nun von ihrer Bettkannte stieß, würde ich das akzeptieren. Ich würde es verstehen können. Doch ich hoffte es nicht.
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