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Moiras Hütte
07-04-2022, 04:42 PM,
Beitrag #1
Moiras Hütte
Abseits der Wege - von übermannshohen Holunderbüschen auf der einen und hüfthohen Sommerblumen auf der anderen Seite gesäumt - ragte eine Lehmhütte aus der kargen Erde. Menschen fanden selten diesen Ort, Tiere hingegen regelmäßig. Vierbeiner kannten die trockenen Wege über den sumpfigen Boden und nutzten sie als Wildpfad - lange bevor Menschen das Gebiet besiedelten. Die Bewohnerin der Lehmhütte wählte das Moorgebiet als Wohnort, während die meisten Siedler die Plateauflächen und vor tausenden von Jahren die Höhlen als Heimstatt bevorzugten. Wollte Moira zum Markt nutzte sie jene verschlungenen Pfade, die zuweilen über von Menschen angelegten Stege führten. Seit einem knappen Jahrzehnt nannte sie sich Moira und würde wohl zusammenzucken, wenn jemand sie beim richtigen Namen rief. Allerdings würde sie selbst ein Römer kaum erkennen, weil sie eine andere Haarfarbe trug und zudem als hingerichtet galt. Wer auch immer unter Kaiser Galba starb, Locusta nicht. Sie erfreute sich bester Gesundheit - nicht zuletzt wegen ihrem umfangreichen Wissen über die Heilkräfte von Beeren, Wurzeln und Kräutern. 

Die gebürtige Gallierin trat vor ihre Hütte. Ihr Heim würde von einem Römer bestenfalls als Kate bezeichnet werden, aber das Bauwerk aus Holz, Lehm und Stroh verschmolz mit der Umgebung, was Moira die Ungestörtheit garantierte. Die Mücken hielten sich zu Beginn des Tages noch zurück, aber auch gegen sie besaß Moira ein Mittel: Zitrus - und Eukalyptusdüfte hüllten die Frau mittleren Alters ein.
[Bild: 1_22_10_22_6_30_38.png]
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07-19-2022, 06:43 PM,
Beitrag #2
RE: Moiras Hütte
Die Sonne spiegelte sich im Wasser, die Luft schien zu glühen und Wolken rückten nur langsam vor. Dünne Beinchen mühten sich redlich, irgendwo Fuß zu fassen, aber kein rettendes Ufer war in Sicht, nicht einmal ein Zweig, der Halt geben konnte. Blätter, die vereinzelt auf der Oberfläche trieben, gaben unter dem Gewicht des kletternden Käfers nach und kenterten. Er plumpste zurück und kämpfte erneut, noch gab er nicht auf. Ein toter Falter trieb an ihm vorbei und niemand konnte sagen, ob der Käfer ihn bemerkte, als er erschöpft innehielt. Sah er die Ausweglosigkeit seiner Lage ein, oder konzentrierte er sich auf den nächsten Anlauf?

Als sich Moira bückte, um mit den hohlen Händen Wasser zu schöpfen, bemerkte sie ihn. Sie trank, ohne den Blick von ihm zu wenden, dann schlüpfte sie aus den Sandalen und watete in den Bach. Das Wasser umspielte ihre Knöchel, da die Stelle seicht und die Strömung gering war, aber aus Sicht des Käfers wirkte die Bachausbuchtung wie ein Ozean. Moira bückte sich und schöpfte mit der Hand Wasser samt Käfer ab. Ihr Herz hüpfte, als er sich bewegte, indem seine Füße wie winzige Kneifwerkzeuge Halt auf ihrer Haut suchten. Lächelnd betrachtete sie, wie er festgeklammert versuchte, die Flügeldecken zu öffnen, um die zarten Hautflügel vorsichtig auszubreiten, die trocknen mussten.

Sie gab ihm die Zeit, die er für die Erholung benötigte. Nichts erfreute sie mehr, als einem Wesen helfen zu können, mit Ausnahme, wenn es nur zwei Beine besaß. Moira scheute den Menschenkontakt, mehr noch: Sie verabscheute diese Erdenbewohner. Auch wenn der Käfer, ohne sich umzuwenden davonflog und undankbar wirkte, sie fühlte sich von ihm nicht benutzt, während Menschen sie oft genug ausgenutzt hatten. Vielleicht sah sie es heute auch nur so, denn früher wusste sie durchaus Geschäfte mit ihrer Gabe zu machen.

Verträumt blickte sie dem geflügelten Wesen hinterher. In Britannia hatte sie zu sich selbst und ihre Ruhe gefunden.
[Bild: 1_22_10_22_6_30_38.png]
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