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Tablinum | Zwischen Gestern und Morgen - Nicander und NO - Druckversion

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Tablinum | Zwischen Gestern und Morgen - Nicander und NO - Norbana Orestilla - 01-09-2025

Als Leander gegangen war, durchzog mich ein seltsames Gefühl. Ich war jetzt die Herrin dieses Hauses, doch diese Wahrheit fühlte sich noch fremd und unwirklich an. Alles schien neu und ungewohnt, als hätte ich einen Platz eingenommen, der noch nicht ganz der meine war. Dennoch lastete die Verantwortung nun auf meinen Schultern, spürbar und unausweichlich.

Um meine Gedanken zu ordnen, beschloss ich, mich umzusehen. Die Domus Plautia war kein prunkvolles Haus, aber ihre Schlichtheit strahlte einen gewissen Charme aus. Ich trat ins Atrium hinaus, wo das Licht durch die Öffnung in der Decke fiel und sich im klaren Wasser des Impluviums spiegelte. Es war ein beruhigender Anblick, doch meine innere Unruhe blieb.

"Nicander?" rief ich leise, während ich weiterging. Ich wusste, dass er irgendwo hier sein musste. Seine Gabe, meine Laune zu heben, auch ohne Worte, war unvergleichlich. Sein Talent, mit Worten und Gesten Geschichten zu erschaffen, hatte mich vom ersten Moment an fasziniert, seit er an meiner Seite war. Vielleicht würde er es schaffen, die Schwere dieses Tages zu vertreiben.
Meine Schritte hallten auf den Steinfliesen wider, als ich in den Hof trat. Im Garten blieb ich stehen. Wie Leander gesagt hatte, war es ein einfacher Gemüsegarten. In den Beeten ragten hier und da die trockenen Stängel der letzten Ernte hervor, kahl und schutzlos gegen den Winter. Ich strich mit den Fingern über einen der kahlen Äste, die aus der Erde ragten, und begann, mir vorzustellen, wie dieser Ort im Frühling aussehen könnte. Blumen – ja, Blumen würden ihm Leben einhauchen. Narzissen und Veilchen kamen mir in den Sinn, ihre Farben, die sich gegen das Grau der Steinwände abheben würden.
"Nicander?" rief ich erneut, diesmal ein wenig lauter. Doch auch hier war er nicht zu finden. "Wo steckst du nur?" murmelte ich leise vor mich hin.

Auf dem Weg zurück ins Haus begegnete mir schließlich ein Sklave. „Bitte suche Nicander für mich“, bat ich ihn. Dankbar für seine Hilfe, öffnete ich die Tür zum Tablinum. Der Raum wirkte still und fast ehrfurchtsvoll. Alles war ordentlich aufgereiht, und ich zögerte, etwas zu berühren. Vorsichtig setzte ich mich auf einen Stuhl und wartete. Vielleicht würde Nicander bald kommen und mir die Ablenkung schenken, die ich so dringend brauchte.


RE: Tablinum | Zwischen Gestern und Morgen - Nicander und NO - Nicander - 01-13-2025

Ich hatte diesen Morgen Silberlöffel poliert, was keine ganz unangenehme Arbeit war, da man seine Gedanken schweifen lassen konnte wie einen Schwarm Vögel. Dabei hatte ich mir unentwegt Sorgen um Norbana Orestilla  gemacht. War ihr Ehemann Plautius Leander etwa zu meiner süßen Herrin grob gewesen? Hatte er das Siegel gebrochen mit Ungeduld, so wie es Männer taten, die nur an eigene Sklavinnen und ab und an Straßenmädchen gewöhnt waren? Jetzt war die Herrin ins Tablinum gegangen, und ein anderer Diener sagte, sie warte auf mich. 

Ich eilte zu ihr, und da sie still auf einem Stuhle saß, versteckte ich mich hinter einer Säule, um hervorzubrechen und zu deklamieren, damit sie erst erschreckt und dann aufgeheitert werden sollte. Mein Gedicht galt ihr, der schönsten Braut:


" Dunkle Locken, braunes Haar
Eulenaugen wunderbar
Gleich lichter Birke hier im Wald
leuchtet deine Wohlgestalt

Lebensvoller Alabaster,
Große Feindin aller Laster,
Ausbund aller frommen Jugend,
Aufrechthaltung aller Tugend,

Hofstatt aller edlen Sitten,

- Wie hast du die Nacht bestritten?"
*,

ich lief zu Norbana Orestilla hin und setzte mich mit unterschlagenen Beinen auf den Boden, hob den Blick und lächelte sie fragend an.


*frei nach Georg Greflinger


RE: Tablinum | Zwischen Gestern und Morgen - Nicander und NO - Norbana Orestilla - 01-17-2025

Endlich kam Nicander. Als ich ihn sah, durchströmte mich eine Welle der Erleichterung, als hätte ich in einem stürmischen Meer den einzigen Halt gefunden, der mich verstehen konnte. Ohne nachzudenken sprang ich auf, meine Freude war so überwältigend, dass ich ihn am liebsten umarmt hätte. 
"Nicander! Endlich. Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, dich zu sehen."

Ich wollte sofort alles erzählen, was mich quälte, doch Nicander hob nur leicht den Kopf, ein leises Lächeln auf den Lippen, und begann sanft, ein paar Verse zu rezitieren. Seine Stimme war wie ein warmer Strom in der frostigen Leere, die sich um mein Herz gelegt hatte. 
Ich hielt den Atem an, jedes Wort schien mich mit einer seltsamen Kraft zu berühren, die meine innere Unruhe für einen Augenblick verstummen ließ. "Deine Verse," flüsterte ich schließlich und spürte ein schwaches Lächeln, das über meine Lippen huschte. "Wie machst du das nur, Nicander? Du findest immer die richtigen Worte."
Doch der Moment der Ruhe verflog so schnell, wie er gekommen war. Ich ließ mich langsam zurück auf den Stuhl sinken, die Last meiner Gedanken kehrte zurück, drückend wie zuvor. 

"Es war schrecklich, Nicander," begann ich leise mit brüchiger Stimme. "Die Hochzeitsnacht... nichts war, wie es hätte sein sollen." Ich rieb meine Handflächen aneinander, spürte die Kälte meiner Finger, als würde die Erinnerung an diese Nacht durch sie sickern. Die Bilder drängten sich vor mein inneres Auge, und meine Worte kamen stockend heraus. 
"Wir haben nicht..." Ich verstummte, unfähig, es auszusprechen. "Er ist nicht bei mir geblieben. Nicht einmal über Nacht." Ein stechender Schmerz begleitete die Worte, brennende Eifersucht nagte an mir. "Er sagte, er hat keine Erwartungen an mich. Dass er mir Zeit lassen würde." Ich schüttelte den Kopf und senkte den Blick, starrte auf die Fliesen vor mir. Ich hätte einfach nur heulen können. Doch ich hatte letzte Nach schon genug geheult "Ich dachte… ach, ich weiß nicht, was ich dachte. Aber sicher nicht das." 

Mein Atem stockte, und ich verschränkte die Hände fest auf meinem Schoß, um das Zittern zu unterdrücken. "Ich bin mir sicher, dass er..." Meine Stimme brach. "Dass er zu einer der Sklavinnen gegangen ist, um die Nacht mit ihr zu verbringen."
Es war, als hätte ich einen Stein von meinem Herzen gestoßen, doch die Leere, die zurückblieb, schmerzte umso mehr. Ich presste die Lippen zusammen, schloss die Augen für einen Moment und schüttelte langsam den Kopf. 
"Was soll ich nur tun, Nicander?" Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. "Ich fühle mich so dumm... und gedemütigt. Soll das mein Leben sein? Sieht so meine Ehe aus?"  Wie sollte ich Leander in der kommenden Nacht gegenübertreten? Würde er dann wieder woanders schlafen?
Ich umschlang meine Schultern, als könnte ich mich selbst vor der Kälte schützen, die in mir tobte. Der Raum schien dunkler, stiller, und ich fragte mich, ob ich jemals aus diesem Gefühl der Trostlosigkeit herausfinden würde.


RE: Tablinum | Zwischen Gestern und Morgen - Nicander und NO - Nicander - 01-18-2025

Ich hatte erst gefürchtet, dass Plautius Leander grob die Jungfräulichkeit meiner süßen Herrin niedergemetzelt hätte. Aber im Gegenteil, nicht angerührt hatte er sie. Die Nacht hatte er ja mit Innogen verbracht, und Norbana Orestilla fühlte sich jetzt so unzulänglich wie eine Vestalin im Hurenhaus. Ich aber war vom Hausherren dazu ausersehen worden, diese Ehe zu einem gedeihlichen Zusammenleben zu bringen, und daher durfte ich nicht egoistisch sein, sondern musste versuchen, ihr die Handlungsweise ihres Ehemannes sogleich zu erläutern. Also setzte ich mein nachdenklichstes Gesicht auf:
" Liebste Herrin, es ist wahr, dass der Herr bei einer Sklavin lag. Aber das tat er nicht, um dich zu demütigen. Im Gegenteil, seine Vorfreude auf seine Hochzeitsnacht muss unermesslich groß gewesen sein. Er liebt, und er begehrte dich"
Ich sprang auf die Füße, um meine Schilderungen mit Handbewegungen zu unterstreichen:
" Man spricht von Männern als das starke Geschlecht, o Domina. Aber im Grunde ist es nur die halbe Wahrheit, denn sie besitzen viele körperliche...Eigentümlichkeiten, die sie schwächen und krank machen können. Darunter gibt es eine, von denen du in deiner Tugendhaftigkeit nichts wissen kannst. Du kennst ja die Statuen der nackten Helden und bestimmt hast du ihr Geschlecht schon angesehen. Wenn ein Mann sich aber auf den Beischlaf vorbereitet, dann bleibt es nicht klein und anliegend. Es schwillt an, wird ganz hart...."
nun schwindelte ich ein wenig, aber die Götter mochten mir meine Lüge verzeihen, denn ich hatte vor, meinen Auftrag gewissenhaft zu erfüllen:
" Zweifellos war der Herr Leander also in diesem Zustand, aber er meint es gut, und er wollte dich nicht überrumpeln, so wie es die groben Kerle tun, denen es egal ist, ob ihre jungfräuliche Braut bei ihrer Entjungferung leidet. Daher hat er warten wollen, bis du bereit bist. Nur - was machen mit dem Teil, das ganz geschwollen und schmerzhaft hart ist? Wenn Herr Leander die Last nicht loswird, so wird er auf die Dauer geschwächt oder sogar ernsthaft  krank. Das ist gewiss wahr, denn viele berühmte Ärzte schreiben das in ihren medizinischen Werken.
Deshalb ließ dein rücksichtsvoller Ehemann zur Erleichterung die Sklavin rufen, damit sie ihn von der Last befreite, die aber ganz allein der freudigen Erwartung auf dich geschuldet war. 

Woher ich das weiß? Oh, der Dominus hat es mir selbst gestanden. Und das mit Tränen in den Augen, denn er wünscht sich nur, dass du ihn aus freien Stücken in die Arme schließt, ihn wie eine gute Gattin liebst und ihm vielleicht irgendwann einen kleinen lieben Erben schenkst. 

Sei also bitte nicht traurig, liebste Domina. Sondern denke daran, dass dein Ehemann auf seine Weise
dich mit großem Zartgefühl behandelt. Wenn er zuweilen Abhilfe für seinen Samenstau braucht, so sieh es als eine rein medizinische Maßnahme, um seine Gesundheit zu erhalten, an"


Nun beugte ich mich vor:

"Sage einmal, liebste Domina, bist du denn auch ein klein wenig neugierig, wie es denn sei, sanfte Küsse zu  geben und zu empfangen,  einen warmen Leib zu umarmen und  selbst umarmt zu werden und die geheimsten Stellen forschend zu liebkosen und selbst liebkost werden?"


RE: Tablinum | Zwischen Gestern und Morgen - Nicander und NO - Norbana Orestilla - 01-19-2025

Nicander saß zu meinen Füßen, und obwohl ich ihn schon so oft in dieser Haltung gesehen hatte, wirkte er heute anders. Sein Gesicht war ernst, seine Bewegungen bedacht, als er mit seiner Erzählung begann. Seine Stimme, warm und ruhig, schien den Raum auszufüllen, und ich fand mich plötzlich dabei, ihn mit offenem Mund anzustarren. Ich hing förmlich an seinen Lippen, wie ein Kind, dem man Geschichten von Riesen und Dämonen erzählt.

"Das kann nicht wahr sein," flüsterte ich und schüttelte ungläubig den Kopf. Doch seine Augen waren sanft und voller Mitgefühl, Sie ließen keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Worte. Mein Atem stockte, als er weiter sprach, und eine Hitze stieg in mir auf – eine Mischung aus Verlegenheit, Scham und etwas, das ich nicht einordnen konnte. 

"Ich... ich habe das alles ausgelöst?" Meine Stimme klang brüchig, und ich presste eine Hand gegen meine Lippen, als könnte ich die zitternden Worte damit zurückhalten. Ich fühlte mich klein und verletzlich, als Nicander mit einem nachdenklichen Blick erklärte, wie sehr mein Mann mich lieben und begehren musste, um überhaupt in einen solchen Zustand zu geraten. 
Seine Worte bohrten sich wie heiße Nadeln in mein Herz. "Er liebt mich?" flüsterte ich. Mir versagte fast die Stimme. Tränen stiegen mir in die Augen, und ich blinzelte hastig, doch der Kloß in meinem Hals blieb. "Ich... ich hätte das nie gedacht."  

Ich senkte den Blick und verschränkte die Finger ineinander, während Nicander seine Hände durch die Luft gleiten ließ, um seine Erklärungen zu unterstreichen. Seine Bewegungen hatten etwas Hypnotisches, etwas Tröstendes, doch das Bild, das er zeichnete, war so fremd, so überwältigend. 
"Er hat... Schmerzen gehabt? Wegen mir?" Ein Schauder lief mir über den Rücken, und ich schnappte nach Luft. Das Gewicht dieser Erkenntnis war fast zu viel. Mein Mann, der mich nicht überfordern wollte, der so viel Zärtlichkeit gezeigt hatte – und ich hatte ihm nicht einmal danken können. 

Als Nicander von der Sklavin sprach, spürte ich einen Stich, doch seine Erklärung ließ mich erstarren. Es war nicht aus Demütigung geschehen, sondern... aus Notwendigkeit? Ich biss mir auf die Unterlippe und wagte es nicht, ihn anzusehen. "Das... das klingt absurd," brachte ich schließlich hervor, doch Nicanders Gesichtsausdruck blieb ruhig, fast väterlich. 
Und dann sagte er es – mein Mann habe ihm all das gestanden, mit Tränen in den Augen. Für einen Moment vergaß ich zu atmen. Mein Kopf hob sich ruckartig, und ich starrte Nicander an, unfähig, die Worte zu begreifen. "Er... hat geweint?" fragte ich, meine Stimme ein leises Zittern. "Warum? Wegen mir? Habe ich ihn so verletzt?"  
Meine Brust zog sich zusammen, und ich war den Tränen näher, als ich es mir je erlaubt hätte. Der Gedanke, dass Leander – mein Leander, der mir bis vor kurzem ein Fremder gewesen war – so sehr um mich gerungen hatte, ließ mich innerlich erbeben. 

Nicanders Worte über sanfte Küsse und Umarmungen, über Berührungen und das Erkunden der verborgenen Winkel eines anderen Körpers, ließen meinen Kopf heben. Mein Herz schlug schneller, und meine Hände verkrampften sich in meinem Schoß. Ich hatte das Gefühl, als ob ich eine Tür öffnen würde, hinter der ein ganzes Universum lag, das ich nie zuvor betreten hatte. 
"Und... und so fühlt es sich wirklich an?" fragte ich mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Unsicherheit. Meine Stimme war kaum mehr als ein Hauch, und ich konnte nicht verhindern, dass meine Lippen zitterten. 
Ich lehnte mich leicht vor, suchte in seinen Augen nach weiteren Antworten. Mein Kopf war ein Wirbel aus Gefühlen – Scham, Neugier, und eine unerwartete Sehnsucht. "Erzähl mir mehr," bat ich schließlich und schluckte hart, um die Tränen zurückzuhalten, die noch immer in meinen Augen brannten. 
Nicanders Worte hatten etwas in mir geweckt, das ich nicht mehr ignorieren konnte. Ein kleines Feuer, das ich zunächst kaum bemerkt hatte, flackerte nun auf und wärmte mich auf eine Weise, die ich nie für möglich gehalten hätte. "Ich muss es verstehen," murmelte ich, meine Augen suchten sein Gesicht. "Ich will es verstehen. Bitte!"


RE: Tablinum | Zwischen Gestern und Morgen - Nicander und NO - Nicander - 01-21-2025

Ich hatte Norbana Orestillas Mut heben wollen, in dem ich ihr erzählte, wie ihr Ehemann fast krank vor unerwiderter Leidenschaft darnieder lag, doch stattdessen fing sie an, sich Vorwürfe zu machen. 

"Nein, er hatte keine wirklichen Schmerzen! Abhilfe schuf ja die kundige Sklavin. Plautius Leander weiß Bescheid über die Einschränkungen, die seine Männlichkeit betreffen, denn er ist ein sehr erfahrener Mann. Du kannst ihm vertrauen, dass er dich sicher auch in der Liebe führen wird. Du hast ihn nicht verletzt, beste aller Herrinnen. Seine Tränen stammten aus einem übervollen Herzen. Er liebt dich ....auf seine Weise, das ist gewiss so wie die göttliche Hera die Hüterin des Ehebetts ist", beruhigte ich Norbana Orestilla schnell.

O sancta simplicitas! Erzähl mir mehr, bat die Unschuld jetzt sehr aufgeregt.

Ich drehte mich um, so dass ich direkt vor ihrem Schoß kniete:
" Gewiss kann ich dir alles mit Worten schildern, so wie auch Homer den Krieg der Trojer besang. Doch wer ein Schlachtenepos angehört hat, ist nicht in der Lage, in eine Schlacht zu ziehen, Domina. Sonst würde man die Legionäre im Theater ausbilden. Ich befürchte, dass du nicht verstehen wirst, was genau ich meine. Denn es gibt eine Weisheit des Leibes, die sicherer ist als die des Verstandes und niemals fehlgeht"

Und die Herrin war gerade vor mir zum Greifen nahe. Ich schluckte und mit größerer Selbstbeherrschung als Mucius Scaevola, der zum Beweis seiner Standfestigkeit vor dem Etruskerkönig seine rechte Hand ins verzehrende Feuer gehalten hatte, fuhr ich - die ganze Zeit über direkt in Augenhöhe das lieblichste Bild, sanft geschwungene Hüften, die schlanken Beine und süßen Fesseln, die anbetungswürdigen Füßchen mit den kleinen gepflegten Zehen vor mir - fort:
" Das Wort Begreifen kommt ja vom Greifen mit den Händen"

Dann verstummte ich. Wenn es wahr gewesen wäre, dass die Schwellung der Männlichkeit  tödlich enden könnte, falls ihr keine Barmherzigkeit Abhilfe verschaffte, so war ich gerade mehr dem Tode geweiht als ein Christianer bei den Löwen. Hoffentlich bekam ich jetzt nicht den Befehl, aufzustehen. Ich brauchte erst einmal  einen Wasserguss, schön kaltes britannisches Wasser und davon mindestens den Inhalt einer Amphore voll in meinen eigenen Schoß.


RE: Tablinum | Zwischen Gestern und Morgen - Nicander und NO - Norbana Orestilla - 01-22-2025

"Aha," erwiderte ich zögerlich auf Nicanders Versicherung, dass Leanders Leiden nicht allzu groß gewesen seien und ich ihn keineswegs verletzt hätte. Er liebt mich, versicherte er mir – auf seine Weise. "Ja, wirklich? Er liebt mich wirklich?" fragte ich leise, noch immer unsicher. Doch wenn er es sagte, wollte ich ihm glauben.

Ich ließ ihn weitersprechen, unfähig, meinen Blick von ihm abzuwenden. Seine Worte waren ungewöhnlich, beinahe unverschämt, und dennoch ... sie klangen so wahr. Eine seltsame Wärme stieg in mir auf, während ich ihn beobachtete, wie er dort vor mir kniete, ganz in seiner eigenen Welt, zu der er mich einlud, Schritt für Schritt ein Teil zu werden.
Als er von der 'Weisheit des Leibes' sprach, beschleunigte sich mein Herzschlag. Ich fühlte mich auf seltsame Weise angesprochen, als hätte er einen verborgenen Teil von mir berührt, den ich selbst kaum zu fassen wagte. Seine Metaphern waren vielleicht überschwänglich, doch sie erschufen Bilder, die in mir ein Verlangen weckten – nicht nur nach Wissen, sondern nach Nähe.
Ich senkte den Blick und betrachtete ihn, wie er dort kniete. Sein Gesicht war erfüllt von Aufrichtigkeit. Es war, als würde er mir eine Wahrheit offenbaren, die ich längst geahnt, aber niemals auszusprechen gewagt hatte.

"Nicander," sagte ich schließlich leise, beinahe zärtlich, und legte meine Hand auf seine Schulter. "Vielleicht hast du recht. Manche Dinge lassen sich nicht allein mit Worten begreifen."
Unsere Blicke trafen sich, und in seinen Augen las ich etwas, das mich gleichermaßen verunsicherte und anzog.
Zögernd zog ich meine Hand zurück und ließ sie in meinen Schoß sinken, unsicher, ob ich ihm gerade zu viel Hoffnung gemacht hatte. Doch die Wahrheit war, dass ich selbst nicht mehr wusste, wo mein Verstand endete und mein Herz begann.
"Zeig es mir," flüsterte ich schließlich, fast gegen meinen eigenen Willen. "Nicht wie ein Lehrer, sondern wie ein Poet. Zeig mir, was du mit dieser Weisheit des Leibes meinst."
Meine Stimme zitterte, aber ich meinte jedes Wort, wie ich es sagte. Ich spürte, wie dieser Moment eine Grenze überschritt, eine, die ich vielleicht nicht mehr zurücknehmen konnte. Und das Überraschende war: Ich wollte sie auch nicht mehr zurücknehmen.


RE: Tablinum | Zwischen Gestern und Morgen - Nicander und NO - Nicander - 01-23-2025

Eros, der göttliche Jüngling, der Schlingel, der Gott der Liebesraserei, er hatte seine Hand im Spiel. Es wäre so einfach gewesen. Alles schrie in mir, nun die geliebte Herrin in meine Arme zu nehmen und meine Lippen auf ihre zu drücken, und es kostete mich die übermenschliche Anstrengung eines Sisyphos, den Fels, den ich losgetreten hatte, nicht weiterrollen zu lassen. 
Nur eines tat ich: Ich nahm ihre rechte Hand und küsste ganz andächtig ihren Handrücken. Meine süße Domina! Wie zart und jungfräulich ihre liebe Hand war. Zum Sterben war es, zum Sterben. Aber auch wenn man uns Schauspieler für infam erklärt und mit infamen Handlungen vertraut, wer meint denn, dass uns die Natur kein großes Herz gegeben hätte? Ein Herz, das so sehr liebte, dass es für die Geliebte nur Gutes wünschte. 
"Das werde ich bald schon, liebste Domina", flüsterte ich: "Doch nicht hier am hellen Tage und jetzt im Tablinum des Dominus, wo uns so viele missgünstige Blicke treffen könnten. Da wäre keine Poesie: Nur ein Kuss und eine Hure wären da. Die Muse Erato würde weinend entfliehen. Und Norbana Orestilla in Schande in ihr Vaterhaus zurückkehren müssen"
Noch erhob ich mich nicht, weil ich nicht konnte. Ich musste meine Gedanken weg von Norbana Orestilla auf etwas lenken, das nicht Eros Kraft entfesselte. An den Herren und seine Paragraphen vielleicht? Nicht einmal die Erinnerung an Plautius Leanders sachliche Miene  kühlte mir der Lenden Feuer. Erst der Gedanke an den Hunger, den Cassia und ich erlitten, als wir in Londinium strandeten, dämpfte meine Sinnlichkeit. Limos, der schreckliche Gott, der in den Einöden Skythiens haust, bohrender Hunger nämlich,  hatte mich in die Situation gebracht, mich als Sklaven auszugeben.....
Ich stand jetzt auf und legte einen Finger auf meinen Mund. Ich hoffte, dass mein Blick beredeter war als alle meine betörenden Worte zuvor. Ich liebte, und ich wollte, dass Norbana Orestilla mit Zuversicht in ihre Zukunft blickte:

"Sei getrost, liebste Domina. Zwei Männer lieben dich, jeder auf seine Weise, doch. Dein würdiger Gemahl  und dein armer Nicander! Das ist viel mehr als anderen deinen Geschlechtes vergönnt sein mag" 

Unter anderen Umständen hätte ich nun die Bühne verlassen. Aber das stand mir nicht zu. Ein Sklave musste ja warten, bis er wieder weggeschickt wurde.


RE: Tablinum | Zwischen Gestern und Morgen - Nicander und NO - Norbana Orestilla - 01-24-2025

Ich wusste nicht, wie mir geschah. Nicanders Worte flossen wie Honig in meine Ohren, süß und betörend, doch in ihnen schwang ein leises Echo mit – eine Wahrheit, die ich kaum zu benennen wagte. Sein Kuss auf meinen Handrücken brannte nach, und obwohl ich ihn nicht zurückzog, bebte ich innerlich.
"Wo …" begann ich zögerlich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Der Satz blieb mir im Hals stecken, während ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. "Wo und wann würdest du es mir zeigen?" Die Worte entglitten mir, ehe ich sie zurückhalten konnte. Mein Herz schlug heftig, fast schmerzhaft, und doch war da diese Erinnerung – an meinen Ehemann. An seine Güte, seine Geduld. Sie schien mich wie ein unsichtbares Band zurückzuhalten.

Doch Nicander … oh, Nicander! Seine Augen waren voller Leidenschaft und sprachen von einem Verlangen, das mich zutiefst erschütterte. Und zugleich lag darin ein Schmerz, so tief und echt, dass ich das Gefühl hatte, mein eigenes Herz könnte daran zerbrechen.
Als er schließlich sprach und sich langsam erhob, kämpfte ich darum, die Fassung zu bewahren. Zwei Männer lieben mich? Diese Worte trafen mich wie ein Schlag. Ich fühlte mich nicht würdig, so viel Liebe zu empfangen, und doch spürte ich, dass Nicanders Worte keine leeren Schmeicheleien waren. Sie trugen das Gewicht seiner Seele, die sich mir offenbarte.

"Oh, Nicander …" Meine Stimme brach, während ich sprach. "Du bist mir so lieb. Wäre die Welt nur anders, dann könnte ich dir die Gefühle erwidern, die du für mich empfindest. Doch zu meinem tiefsten Bedauern ist das Leben so grausam!"
Ich blickte ihn an, mit einem Schmerz in der Brust, der mich fast überwältigte. Mein Herz schien zerrissen zwischen der Treue zu meinem Ehemann und der Sehnsucht nach dem, was Nicander mir anbot – einer Liebe, die so viel mehr zu sein schien als ein flüchtiges Verlangen. Doch wie könnte ich den einen lieben, ohne den anderen zu verraten?