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Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - Druckversion

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RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - Anwen - 06-18-2024

Anwen stand noch immer da, die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtete Louarn, wie er sein Hemd  im Wasser ausspülte. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, und sie rang mit sich selbst, die richtigen Worte zu finden. Ein Teil von ihr wollte einfach weglaufen und die Distanz wiederherstellen, doch ein anderer Teil sehnte sich nach Verständnis und Verbindung.
"Es ist nicht nur das," sagte sie schließlich leise. "Es ist schwer zu erklären, aber ich wollte sicherstellen, dass du verstehst, warum ich mich so verhalte. Warum ich dich nicht näher an mich heranlasse. Es geht nicht nur um die Pflicht, es ist... es ist auch Angst." Die Angst, den zu verlieren, den man liebte.

Sie spürte, wie ihre Worte die Stille der Nacht durchbrachen und sah Louarns mitfühlenden Blick. Es tat gut, endlich darüber zu sprechen, auch wenn es schwerfiel.
Anwen ließ ihre Arme sinken und trat näher an den Fluss. Ihre Augen folgten den Bewegungen von Louarns Händen im Wasser. Die gleichmäßigen Kreise, die er zog, hatten eine beruhigende Wirkung auf sie. Sie dachte darüber nach, wie selten sie so offen über ihre Gefühle sprach. Sie kniete sich neben ihn und tauchte ihre Hände ins Wasser. Die Kälte des Flusses durchdrang ihre Finger und half ihr, einen klaren Kopf zu bewahren.
"Es ist nicht einfach, jemanden zu finden, der das versteht," sagte sie leise, mehr zu sich selbst als zu ihm. 

Als Louarn innehielt und sie ansah, fühlte Anwen eine tiefe Verbindung zwischen ihnen. Es war, als ob sie beide wussten, dass sie auf ähnliche Weise gebrochen waren und sich trotzdem gegenseitig heilten, einfach nur durch das Verstehen.
"Ich kann mir gut vorstellen, dass du viel durchgemacht hast," sagte Anwen sanft, deren eigener Lebensweg auch sehr stark von Verlust und Gewalt geprägt war. "Aus einer Schande heraus geboren zu werden, muss schrecklich schwer sein. Zu wissen, dass das eigene Dasein bereits schon mit der Geburt verwirkt ist, bevor man tatsächlich in dieses Leben getreten ist und niemanden zu haben, der einen liebt… Das ist wirklich eine schwere Last, Louarn."

Langsam richtete sie sich wieder auf und griff nach ihrem Mantel, der zuvor von ihrem Körper geglitten war. Sie zog ihn über ihre Schultern und fühlte die vertraute Wärme des Stoffes, die sie einhüllte. Es war ein beruhigendes Gefühl, als ob sie sich selbst und ihre Emotionen wieder zusammensetzte.
Anwen lächelte traurig, als sie seine Antwort hörte. Es war ein Lächeln, das mehr ausdrückte, als Worte es je könnten. Doch sie verharrte dort weiter bei ihm am Fluss, im Dunkeln. Einfach, um nicht allein zu sein.


RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - Louarn - 06-18-2024

Da ich zumindest nicht bewusst versucht hatte, näher an Anwen zu kommen während der Reise, fragte ich mich ein wenig, was sie mit ihrem Verhalten meinte und dass sie mich abgewiesen hätte. Auf der anderen Seite war ich es aber auch gewohnt, dass Frauen meinten, ich würde mit ihnen flirten, wenn ich das eigentlich gar nicht tat und gar nichts wollte, sondern einfach nur nett war und in der Gegend herumstand. Also verbuchte ich diese Aussage auch unter diesem Phänomen und dachte nicht weiter zu angestrengt darüber nach.

Irgendwie wünschte ich mir, sie wär doch gegangen, anstatt dass sie jetzt Mitleid mit mir hatte für etwas, was ich so gar nicht gesagt oder gemeint hatte. Ich knetete die Wolle unter meinen Fingern etwas kräftiger, wodurch sich noch mehr alter Schweiß herausspülen ließ. “Oh, meine Brüder lieben mich. Naja, Alun und Calum zumindest“ und Dunduvan, glaube ich… auch wenn er es nie gesagt hat, fügte ich in Gedanken an. “Und ich liebe sie“ widersprach ich also ihrer Einschätzung, auch wenn ich wusste, wie sie es gemeint haben mochte. Aber über diese andere Art von Liebe wollte ich nicht nachdenken, da das zu den Dingen eben gehörte, über die nachzudenken absolut sinnlos war. Es war so, wie es war, und ich konnte mir überhaupt gar nicht leisten, jemanden zu haben, der mich wirklich liebte. Abgesehen davon, dass das sowieso noch nie vorgekommen war, selbst bei den Frauen nicht, die anderes behaupteten. Wieder musste ich an Niamh denken, die mir immer abwechselnd gesagt hatte, sie würde mich lieben, und dann wieder, sie wolle mich nie wieder sehen, nur um mir wieder zu sagen, sie würde mich lieben. Inzwischen glaubte ich, dass sie einfach nur ein Bild in ihrem Kopf gehabt hatte von einem Mann, wie sie ihn wollte, und DAS liebte, aber eben nicht mich. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie mich je auch nur einmal richtig gesehen hatte als das, wer und was ich war.

Wenn ich noch kräftiger schrubbte, rubbelte ich wahrscheinlich die Wolle durch. Ich ließ also das Wasser einfach eine Weile über den Stoff fließen und hoffte fast, dass Anwen wirklich gehen würde. Aber sie blieb und stand etwas unschlüssig in der Dunkelheit in der Nähe herum. Also wurde wohl auch nichts daraus, in etwas Privatsphäre mittels Handarbeit für etwas Druckabbau zu sorgen.
Ich sollte vielleicht böse sein, oder abweisend oder irgendwas. Aber ich war die Situation zu sehr gewohnt, um noch so zu fühlen. Also atmete ich nur noch einmal tief durch und stand dann mit dem nassen Hemd auf, wrang es einmal gründlich aus und warf es mir nass über eine Schulter. Das Ding war eisig kalt, aber ich war stolz auf mich, nicht zusammenzuzucken deshalb.
“Ich bring dich zur Herberge zurück“, sagte ich einfach nur ruhig, da ich vermutete, dass sie Angst hatte, im Dunkeln allein dahin zurück zu gehen. Da sie unter dem Umhang nackt war, konnte ich ihr das nicht einmal verdenken.


RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - Anwen - 06-20-2024

Während Louarn das nasse Hemd über seine Schulter warf und Anwen anbot, sie zur Herberge zurückzubringen, fühlte sie ein unangenehmes Stechen in ihrer Brust. Es war nicht das, was er sagte, sondern wie er es sagte – ruhig, distanziert, als wäre sie eine lästige Pflicht. Vielleicht hatte sie es sich selbst eingebrockt, indem sie versucht hatte, ihn zu verstehen und ihm zu helfen. Jetzt sah es so aus, als hätte sie alles nur schlimmer gemacht.
"Danke," murmelte Anwen, unfähig, ihre Unsicherheit zu verbergen. Sie hielt den Umhang fest um sich geschlungen und trat näher an Louarn heran, um ihm zu folgen. Der Weg zur Herberge war nicht weit, aber in der Dunkelheit fühlte es sich fast wie eine endlose Reise an.

Anwen ging schweigend neben ihm her und kämpfte gegen das Bedürfnis an, die Stille zu brechen. Immer noch grübelte sie darüber nach, ob sie etwas falsch gemacht hatte. Warum war er so abweisend? Aber womöglich war es auch besser so, dass es nichts gab, was sie mit ihm verband. Schließlich waren sie ja noch eine ganze Weile unterwegs, bis sie endlich das Land der Brigantes erreichten.
Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. "Louarn," begann sie vorsichtig, "ich wollte dich nicht verärgern. Ich wollte nur..." Ja, was wollte sie nur? Sie brach ab, als die Herberge endlich in Sichtweite rückte. Ein schwaches Licht leitete sie nun durch die Dunkelheit.

"Gute Nacht, Louarn," sagte sie, als sie die warme Herberge betraten. Drinnen suchte sie sich ein stilles Plätzchen und ließ sich erschöpft nieder. Es waren nicht nur die Anstrengungen der Reise. Auch die Ereignisse des Abends schienen sie mehr mitgenommen zu haben, als sie zugeben wollte.


RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - Louarn - 06-20-2024

Wir gingen schweigend zurück, und ich war froh, jetzt nicht reden zu müssen. Es war nicht so, dass ich generell wenig reden würde. Eigentlich quasselte ich sonst sehr viel, und ich mochte es, wenn sich die Menschen um mich herum besser fühlten. Aber heute war ich einfach nur müde. Die Reise war anstrengend und sie würde es noch ein Weile bleiben, und ich war durchgefroren und müde und zumindest ein kleiner Teil von mir beschwerte sich, warum ich denn auf Sex verzichtete, wo er doch so leicht zu haben gewesen wäre. Also ja, ich fand grade nicht unbedingt schlimm, nicht reden zu müssen, sondern ging nur wie ein stummer Beschützer neben Anwen zurück zur Herberge.

Aber sie sah irgendwas wohl anders und interpretierte mein schweigen wohl als Ärger, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wieso das nun schon wieder. Vielleicht kam irgendwann ein kluger Mann dahinter, wie man Frauen verstand, aber eines war sicher: Der Mann war nicht ich.
“Ich bin nicht verärgert. Es ist schon in Ordnung. Ich weiß… ich versteh es. Wirklich“, meinte ich also nur ruhig. Denn ja, sie wollte einfach nur einmal wieder ein gutes Gefühl haben, sich lebendig und eine zeit lang nicht so einsam fühlen. Ich wusste das. Ich kannte das. War ja nicht so, als ob es mir nie so ging, und oft genug nutzte ich da die Gelegenheiten, die sich mir boten. Nur wollte ich diesen bedeutungslosen Zeitvertreib nicht mit ihr. Nicht, weil sie häßlich wäre oder so, sondern einfach, weil es die Dinge unnötig kompliziert machte. Und ich war gerade nicht im Reinen mit mir selbst in einem Maße, als dass ich etwas vollkommen bedeutungsloses gerade selbst ertragen könnte.

“Gute Nacht, Anwen“, sagte ich also einfach nur, als sie fluchtartig verschwand und blieb noch einen Moment einfach draußen in der Nacht stehen, ehe ich mich auch nach drinnen begab, in der Hoffnung, dem Muscheleintopf nun entgangen zu sein. Da es aber schon ruhig im Raum war, nahm ich das an.

Ich suchte mir ein unbesetztes Fleckchen, hängte mein Hemd zum Trocknen auf und deckte mich mit meinem Umhang zu, um wenigstens mal wieder eine Nacht im Trockenen und Warmen zu schlafen.


RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - Fintan - 06-20-2024

Cathbad hätte ihn dafür sicher gerügt, doch Fintan war froh, ins Badehaus zu kommen. Während seiner Ausbildung zum Dieb und Scharlatan hatte er sich immer in weniger ansehnlichen Vierteln herumgetrieben, doch nach zwei Wochen in der Wildnis roch er wirklich erbärmlich fies. Doch nicht nur das freute ihn an den Errungenschaften der Römer. Es war schlicht und ergreifend die Tatsache, dass das Wasser warm war, die gute Laune brachte und entspannte.
Es freute ihn, den Morgen mit Alun gemeinsam zu verbringen. Zwar hielt er sich immer noch zurück, doch hatte er den Eindruck, nun endlich ehrlich zu seinem Bruder sein zu können. Etwas, von dem er nicht wusste, wie er das den übrigen beibringen sollte. Cin schien es sich bereits gedacht zu haben, dass etwas nicht stimmte, doch Lou würde es vermutlich für einen Streich halten, für die er derzeit keine Geduld mitbrachte.

Sie besorgten neue Vorräte und gemeinsam schafften es die beiden klugen Brüder, durchaus hervorragende Geschäfte zu machen. Während er mit Fremden sprechen konnte, war er fast wieder der Alte und konnte seinen Charme und seine List bei den Einkäufen nutzen. Doch innerlich ging ihm die Muffe. Diese 'einfachen' Dinge, die Alun vorgeschlagen hatte, hatten sie nun erledigt und doch war er kein bisschen schlauer. Was, wenn er sich mitteilte und Lou glaubte ihm nicht? Was, wenn er sich mitteilte und Lou glaubte ihm?
Vielleicht sollte er einfach den Mund halten. Er hatte es zehn Jahre ausgehalten. Es würde auch weiterhin gehen. Letzte Nacht war ein Ausrutscher gewesen, nicht?
Als sie zurückgingen, um die Pferde zu beladen und zu den anderen zu gehen, holte Fintan tief Luft. Ein ratloser Blick hinüber zu Alun. Jetzt sank ihm der Mut, so kurz vor dem Knall. Konfrontationen dieser Art hatte er nie gut bewältigen können. Er hatte es immer vorgezogen, sein Herz vor solchen Dingen hinter seiner Mauer zu verschließen.
"Vielleicht ist es besser, ich reite zurück", sagte er plötzlich. "Ist vermutlich für alle entspannter, nicht?"


RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - Alun - 06-23-2024

Ich atmete tief durch und versuchte, Ruhe auszustrahlen. Der Morgen hatte vielversprechend begonnen. Unser Besuch im Badehaus war eine reine Wohltat gewesen. Gerne wäre ich noch viel länger geblieben und hätte die Wärme und die Sauberkeit genossen. Offensichtlich war ich doch mehr Römer, als mir lieb sein konnte. Aber Fintan und ich mussten uns noch um die Vorräte kümmern.

Als wir frisch gebadet zu den Händlern gingen, war Fintan schnell wieder in seinem Element, als es ums Feilschen ging. Kein bisschen deutete mehr darauf hin, in welcher tiefen Krise er letzte Nacht gesteckt hatte. Doch ich fragte mich, ob das nicht alles nur Fassade war und ob dahinter immer noch mein tiefunglücklicher Bruder steckte, der mit seinem Leben nicht weiter wusste.
Während wir die letzten Vorräte auf die Pferde luden und mein Bruder plötzlich davon sprach, zurückreiten zu wollen, erkannte ich, dass ich mit meiner Vermutung gar nicht so falsch gelegen hatte. Nun, da er bald Louarn und auch Cinead wieder gegenübertreten sollte, schien er kalte Füße zu bekommen. All meine Bemühungen von letzter Nacht, meinem Bruder wieder Mut zu machen, schienen plötzlich zu verpuffen. Ich fragte mich, ob ich zu wenig getan hatte, ihm genügend Sicherheit und Zuversicht zu geben. Doch ich konnte mir schon denken, wovor er sich so fürchtete.
"Fintan," sagte ich leise, als ich die Stricke festzog, "es gibt keinen Grund, warum Lou dir nicht glauben sollte. Wir kennen uns alle seit so vielen Jahren. Erzähl ihm alles, was du mir erzählt hast, und du wirst sehen, er wird es verstehen." 
Ich überlegte, wie Lou reagieren könnte. Unweigerlich musste ich an den Abend zuvor denken, als er Fintan gegenüber genervt wirkte und wenig Geduld für ihn aufbringen konnte. Natürlich hatte das an Fintans provokantem Verhalten gelegen. Aber wie würde er nun reagieren, wenn er ihm sein Herz ausschüttete?
Ich hielt kurz inne und sah zu meinem Bruder. "Wenn es hilft, können wir zusammen mit Lou sprechen. Ich stehe an deiner Seite, egal was passiert," versprach ich ihm. Mir würde Louarn sicher Glauben schenken, und ich hoffte, er würde für Fintan ähnliches Verständnis aufbringen wie für mich.


RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - Fintan - 06-23-2024

Es gab keinen Grund, warum Louarn ihm nicht glauben sollte.
Natürlich gab es den, es gab etliche! Ihre Beziehung war geprägt von Streichen und Lügen - vor allem von seiner Seite aus. Es würde wirklich einfacher sein, einfach so weiterzumachen. Wenn er jetzt über alles sprach und Louarn ihm nicht glaubte - würde er das ertragen? War dafür überhaupt Platz? Sie hatten schließlich alle andere Sorgen. Diesen Riss in der Außenmauer seines Geistes noch zu erweitern würde bedeuten, so vieles hineinzulassen. Und noch schlimmer, so vieles hinaus...
'Geh einfach sterben'. Was, wenn er es Ernst gemeint hatte? Und was, wenn er, Fintan, es zuließ, dass ihm diese Worte nicht mehr egal waren? Und wie würde überhaupt seine Rolle aussehen, wenn er zuließ, dass sie alle es wussten? Alun war eine Sache. Er würde die Klappe halten, wenn er ihn nur darum bat, da war sich Fintan sicher. Aber ob Louarn die Last von noch einem, den er beschützen musste, auf sich nehmen konnte...
"Heh, ich weiß ja nicht. Er wird's vermutlich für einen Streich halten", sagte Fin. "Haha, wie damals als ich... als er... Ach, wem mach ich was vor. Er hasst mich. Und genau so hab ich's ja auch gewollt. Lass... Lass uns einfach... abwarten, ja? Vielleicht, bis der Auftrag erledigt ist. Das wäre... wäre besser."
Schweigend machte er sich wieder daran, die Pferde zu beladen, bevor die anderen kamen.


RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - Louarn - 06-23-2024

Ich hatte erfreulich tief und traumlos geschlafen, was eine Verbesserung zu den letzten Wochen darstellte. Allerdings wusste ich nur zu gut, dass es nur eine kurze Verschnaufpause sein würde, denn wir mussten weiter, und die Verantwortung für unsere Sicherheit würde wieder auf meinen Schultern lasten. Das gestern war nur ein kleines Durchschnaufen, mehr nicht, und selbst da hatte ich nicht alle Verantwortung einfach von mir weisen können. Das konnte ich nie. Im Gegensatz zu allen um mich herum.
Nicht, dass ich ihn vermisst hätte, aber Fintan war nicht in die Herberge gekommen, sondern hatte sich vermutlich durch das halbe Dorf gehurt, weshalb wir heute auf jeden Fall abreisen sollten. Und das schlimme war, dass Alun auch nicht gekommen war, so dass es wahrscheinlich war, dass er dabei mitgemacht hatte. Insbesondere, da letzterer eine Stimmung mit sich herumtrug, die mit mörderisch noch beschönigt beschrieben war. Ich hoffte nur, dass sie nicht zu viel Blödsinn angestellt hatten, denn dieses Dorf hier war für viele Meilen die einzige Überquerungsmöglichkeit über den Avon und ich hatte keine Lust, mir für die Rückreise eine neue Route auszudenken.

Nach einem üppigeren Frühstück – wir mussten die Gelegenheiten des Ortes ja nutzen – hatte ich mich zum Stall begeben, um nach den Pferden zu sehen. Auch die waren über die Pause mehr als glücklich und fraßen Möhren und Hafer, als hätten sie von uns nichts bekommen. Eines der Packpferde hatte eine leicht wunde Stelle am Fuß, also suchte ich einen Pferdeheiler und kaufte dafür etwas Salbe, die ich großzügig am Bein verteilte.
Als ich damit fertig war, suchte ich die anderen, denn ich wollte lieber heute noch weiter, deshalb sollten wir nicht zu viel Zeit vertrödeln. Daher sollten wir uns absprechen, was zu tun war, in der Hoffnung, bis Mittag fertig zu sein. Glücklicherweise war das Dorf nicht so groß, so dass ich von den Händlern erfuhr, dass Alun und Fintan schon Vorräte gekauft hatten, bevor ich im Begriff war, dasselbe zu tun. Warum sollte man sowas auch absprechen? Ich bedankte mich also bei den Händlern für die Information und versuchte, mich nicht über diese Alleingänge ohne Absprache aufzuregen.

Nach ein wenig herumfragen im Ort und nachdem ich die Frauen und Cinead unterrichtet hatte, dass wir idealerweise kurz nach Mittag weiterreisen wollten und sie ihre Sachen packen sollten und noch etwas essen und ansonsten in der Nähe der Herberge bleiben sollten, ging ich also wieder zum Stall. Wo Alun und Fintan Zeug auf die Pferde packten. Einfach so. Ohne Absprache oder Information oder irgendwas.
Ich fuhr mir mit der Hand einmal über die schmerzende Stirn und versuchte wirklich, nicht zu sehr darüber nachzudenken. “Was genau treibt ihr da?“ kam es dann doch etwas ungläubig über meine Lippen zur Begrüßung, denn mal ehrlich, sollten die Packpferde hier Stunden voll beladen herumstehen, oder was hatten die zwei sich überlegt? Mir wurde gerade doch ziemlich bewusst, dass keiner von den beiden je für mehr Verantwortung übernommen hatte, als nur für sich selber.


RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - Fintan - 06-23-2024

Fintan war natürlich weder verkatert noch sonstwie kaputt wie man es hätte vermuten können. Doch in dem Moment wünschte er, er wär's. Louarns 'Gruß' fuhr ihm durch Mark und Bein, so sehr erschrak er sich darüber. Und das, während er noch mit Alun seine Strategie besprach. Das brachte ihn völlig aus dem Konzept.
"Lou!", rief er zur Begrüßung. "LouLou! Bruder! Freund. Kumpel. Ja Mensch, du siehst gut aus. Richtig ausgeschlafen. Unverhohlen gutaussehend und als seist du bereit, ein paar Schädel zu spalten!" Klar, vor allem seinen, so wie der aussah. Was hatten sie nun schon wieder falsch gemacht? Sie hatten doch bloß schon eingekauft, warum sah er aus, als würde er gleich explodieren? "Wir haben nur schon einmal alles fertig gemacht, damit es gleich auch wirklich überhaupt keine Probleme gibt bei unserer Abreise. Alles ist tiptop perfekt, bis ins kleinste Detail."
'Hier, ich hab euch ein paar Kuchen mitgebracht', hätte er sagen können. Fin, der niemals kein Geld dabei hatte, hatte sich vom Bäcker ein paar wohlschmeckendere Dinge besorgt als ständig nur Brot (damit die Reisekasse zu belasten, hätte Lou wohl sowieso nur wieder zum Toben gebracht), da er kurz gedacht hatte, es möge vielleicht ein nettes Geschenk sein. Dinge zu teilen, die andere wollten, anders hatte er sich nie auszudrücken gelernt.
Das hatte wie eine gute Idee ausgesehen. Selbstverständlich sagte er jetzt etwas völlig anderes:
"Wisst ihr was? Ich hab ganz vergessen, mich von Alba - oder Claudia? - zu verabschieden. Hah, möge es mir gelingen, ohne dass ihr Vater mich dabei sieht, was? Also, ich bin dann, wir sehen uns später!"
Mit einem Lachen, das anmuten sollte wie sein übliches, nun jedoch hysterisch klang, machte er ein paar Schritte zum Stallausgang, damit Louarn sich bei Alun über ihn mokieren konnte. Es war eine dumme Idee gewesen. Nie im Leben würde er es gut erklären können. Nein, nein. So war es besser, jawohl.


RE: Reise nach Norden - Eine Braut auf dem Weg - Louarn - 06-23-2024

Je blumiger Fintans Begrüßung wurde, umso abwehrender wurde meine Haltung. Ich kannte das schon. Wann immer er so anfing, war das nur der Anlauf für einen riesigen Kübel Mist, den er über mir auszukippen gedachte – mitunter wortwörtlich. Daher nein, ich gab absolut nichts auf seine Freundlichkeit und hielt meinen Abstand und blickte ihn nur auf eine Art an, die unmissverständlich ausdrückte, dass er jetzt besser keine ruckartigen Bewegungen machen sollte, wollte er alle seine Finger in ungebrochenem Zustand behalten.
Ich hätte natürlich fragen können, wie er darauf kam, dass wir abreisen wollten, denn keiner der beiden hatte auch nur einmal nachgefragt oder sich besprochen. Wieso auch? So eine Reise war ja schließlich nicht weit und gefährlich oder sowas und benötigte Planung. Da ich ja aber tatsächlich abreisen wollte, verzichtete ich auf die Standpauke, die sowieso keiner der beiden verstehen würde, weil Fintan der größte Egoist des Planeten war und Alun gerade alles daran setzte, in seine Fußstapfen zu treten. Daher übersprang ich die fruchtlose Diskussion lieber, die sowieso keinen der beiden gerade erreichen würde, und sah stattdessen zu, wie Fintan genau das machte, was ich mir schon gedacht hatte.
“Wenn du nicht da bist, wenn wir fertig sind, hast du Pech gehabt“ knurrte ich nur hinter ihm her. Und wenn er von irgendwelchen Vätern, Brüdern oder einem Hund erwischt würde, galt für meinen Teil dasselbe. Ich rettete gerne Menschen, die Rettung brauchten und verdienten – aber Fintan hatte jedes Quäntchen an Anteilnahme da schon vor langer Zeit aufgebraucht und konnte daher meinetwegen selber schauen, wie er überlebte. Solange er mich nicht mit reinzog, ärgerte ich mich nicht einmal mehr darüber, sondern es war mir egal.

Ich schaute also zu, wie er sich verkrümelte, und bedachte Alun nur mit einem tadelnden Blick, weil er sich von Fintan für dessen Blödsinn einspannen ließ.
“Das Pferd dort nicht beladen, er hat eine Verletzung am Fuß und geht sonst lahm. Wir müssen das auf die anderen Tiere verteilen für die nächsten zwei Tage“, deutete ich nur auf das Pferd, das ich vorhin noch verarztet hatte und machte mich dann daran, mit anzupacken und die Sachen so auf die Pferde zu verteilen, dass keines zu schwere Last tragen musste. Wenn wir den restlichen Tag heute zu Fuß gehen würden und morgen die weiteste Strecke ebenfalls, sollte es aber auch so gehen.
“Habt ihr genug bekommen für die restliche Reise? Ich würde gern das letzte Stück zügig hinter uns bringen“, sagte ich also nur, die Gedanken auf das vor uns liegende Stück Weg gerichtet. Von nun an ging es meistens etwas nach oben, auch wenn ich versuchen wollte, uns durch das Tal zwischen den großen Gebirgen zu führen. Aber die ungemütlichere Hälfte unserer Reise war es trotzdem.