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Mietstall des Alan - Druckversion

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RE: Mietstall des Alan - Louarn - 04-11-2024

Morgen würden wir zur Quelle aufbrechen. Calum wollte mitkommen, obwohl ich ihm angeboten hatte, für ihn eine Ausrede zu erfinden, also würden wir zu dritt reiten: Er, Alun und ich. Und ich war jetzt schon angespannt deswegen. Nicht wegen der Reise, auch wenn ich Calum wohl keinen Moment aus den Augen lassen würde, nachdem er verschwunden war. Ich würde ihn sicher und in einem Stück wieder zurück zu Flavianus Pü bringen, und wenn uns der Himmel auf den Kopf fallen sollte.
Aber die begegnung mit Cathbad war etwas anderes. Wie lange hatte ich ihn jetzt nicht gesehen? Über ein Jahr. Fast zwei. Er hatte mich in den Norden geschickt, um Bündnisse auszuhandeln, aber die Stämme dort hatten alle nichts davon wissen wollen. Nicht die Veniconer, nicht die Caledonier, nicht die Votadinier. Zu den Taexalern war ich nicht mehr gekommen, da die Veniconer mich schon fast deshalb umgebracht hätten. Deshalb und wegen einer dunkelhaarigen Schönheit, die mich lieber tot als abgereist sehen wollte.
Von meinem Misserfolg wusste Cathbad schon, der Druide Cartivel hatte zumindest so etwas gemeint und ihm im Zweifel die Nachricht auch überbracht. Ich ging nicht davon aus, dass er mehr als einen Misserfolg von mir ernsthaft erwartet hatte. Überhaupt wusste ich nicht, warum er mich nicht einfach gehen ließ, wo ich doch von keinerlei Wert für ihn war.
Und das war es auch, was mich gerade lange wach hielt: Die frage, wie er auf mich wieder reagieren würde. Welche Gemeinheiten er wieder sagen oder auch nicht sagen würde. Zweifelsfrei würde er mich spüren lassen, wie wenig er von mir hielt und welch große Enttäuschung ich für ihn war. Ehrlich, hätte ich Alun und Calum nicht vor ihm beschützen müssen, indem ich seinen Spott und Zorn auf mich zog, wahrscheinlich hätte ich schon längst versucht, abzuhauen. Einmal hatte ich es schon versucht, mit zehn oder elf. Nur Caradoc hatte mich damals zurückgehalten und gemeint, dass mir großes prophezeit worden wäre und ich entscheidend für das Fortbestehen der Druiden wäre. Genauer gesagt hatte er gesagt, dass das Schicksal der Druiden durch mich entschieden werden würde. Und irgendwie hatte ich ihm geglaubt. Caradoc hatte mich nie belogen. Aber jetzt war er tot, und ich war mir nicht mehr sicher, warum ich hier war und wo ich hingehörte.

Der Mond stand strahlend hell als dünne Sichel über einer Ebene aus Wasser, in der er sich mit den Sternen spiegelte. Ich kannte den Platz, ich war schon mehrmals hier gewesen. Ich wusste, dass das Wasser nur ein dünner Film über unsichtbarem Boden war, in dem meine Pfoten guten Halt finden würden. Ich wusste, dass hier zu laufen sich anfühlen würde, wie zwischen den Sternen zu fliegen.
Aber mein Herz war schwer und meine Sinne davon getrübt. Ich wollte nicht laufen. Es brachte mir keine Freude. Ich stand nur da und schaute hinab in die spiegelglatte Fläche des Wassers, wo sich mein Fuchs-Gesicht spiegelte. Traurige, goldene Augen sahen mich von dort aus zerzaustem Fell an, und ich seufzte tief und mutlos.

“Na, na. Wer wird denn gleich so seufzen?“ hörte ich eine vertraute, alte Stimme und blickte rasch auf. Und da stand er. Das Haar an den Schläfen etwas grau, der Bart wie immer etwas unordentlicher, als er sein sollte. Die Augen hell und klar und immer mit einem leicht schelmischem Blitzen darin, was verstärkt wurde durch die feinen Lachfältchen, die sich dort in die Haut gegraben hatte, weil er so viel schmunzelte und lächelte und lachte und gerne sang und feierte. Weil er so menschlich und nahbar und gütig war.
Ein Zittern erfasste meinen ganzen Körper, und ich lief auf ihn zu und umarmte ihn, jetzt Mensch, in einem ununterdrückbaren Impuls und so tiefem Bedürfnis, dass es meine Seele zu zerbrechen schien, während meine Arme sich um ihn schlossen und nur ein Laut, halb Schluchzen, halb erfreutes Aufrufen, so tief aus meiner Kehle kam, dass es ganze Berge zu erschüttern schien. “Caradoc“, raunte ich heiser, während ich meinen Kopf irgendwo in dem wilden Haar und an seiner Schulter vergrub und mich wieder wie ein kleiner Junge fühlte, der sich einfach nur festhalten wollte und Schutz bei einem geliebten Menschen suchte.
“Na, na, Louarn“, hörte ich ihn sagen, während er auf meine Schulter klopfte. Ich spürte die Berührung, auch wenn ich gerade so fest an ihn geklammert nichts sehen konnte, und ein weiteres Schaudern ging durch meinen angespannten Körper. “Ist das hier echt?“ krächzte ich. Denn auch, wenn es ein Traum war, es fühlte sich echt an. Und selbst, wenn es nicht echt war, wollte ich, dass es echt wäre, und selbst wenn das nicht ging, wollte ich nicht wieder aufwachen.
“Ja, Louarn. Ich bin echt.“ “Aber du bist tot!“ schluchzte ich und hielt ihn noch etwas fester, was den alten Mann wahrscheinlich halb zerdrückte. Aber er war tot, was machte das schon? Aber er klang durchaus etwas gequetscht und machte sich soweit frei, dass ich ihm nicht die Rippen brach mit meiner Umarmung, indem er mir mit seinem Stock leicht auf den Kopf haute. Es tat nicht wirklich weh, aber trotzdem. “Das bin ich auch! Aber deshalb muss man ja nicht gleich unecht sein!“
Darauf wusste ich nichts zu erwidern. Nach ein paar Momenten fühlte ich mich aber gewappnet genug, nicht mehr ganz so wie ein kleines Kind an ihm zu hängen und zumindest wieder gerade zu stehen, auch wenn meine Hände auf seinen Armen blieben. Ich brauchte das Wissen, dass er wirklich hier war, auch wenn es ein Traum war.
“Ich kann nicht glauben, dass du hier bist! Ich hab noch nie von dir geträumt.“
Caradoc lächelte auf die Art, wie nur er es konnte. So, dass man sich dabei gesehen fühlte. Und dann schüttelte er den Kopf und lachte. “Hast du immer noch nicht herausgefunden, was das hier ist? Ach, Louarn, was mach ich nur mit dir?“ Er lächelte, und ich hatte keine Ahnung, was er meinte, aber das war mir auch egal. Ich sah ihn wieder, den einzigen Mann, der sich für mich wie ein vater anfühlte, und das war alles, was ich wissen musste.
“Komm, erzähl mir, was alles passiert ist“, bat er mich, und ich erzählte es ihm. Alles. Von meiner Reise in den Norden, meiner Ankunft in Iscalis, meinem Aufeinandertreffen mit Helena, der Enthüllung, dass sie unsere Schwester war, von Niamh und der Reise zu den Priestern. Von ihr und Dunduvan, von ihrer Rettung aus Erwans Haus, meinen Hoffnungen und Gefühlen nach Lughnasad und Ceridwens Verrat und unserer endgültigen Trennung. Von Ciarans Zauber und der Erstürmung der Mine, von Dunduvans Tod im Feuer, von Alun und seiner Geliebten und schließlich von meiner Suche nach Calum. Am Ende fühlte ich mich leer und voll zugleich, und so viel leichter, wie seit Jahren nicht mehr.
Am Ende hob Caradoc eine Hand und legte sie um meine Wange, eine so einfache und zärtliche Geste, dass mein Körper erneut zitterte und ich die Augen schloss. “Ach, mein armer Junge. Ich wünschte, ich hätte dir helfen können...“, sagte er traurig, und ich wusste, dass er es so fühlte.
“Ich wünschte auch, dass du noch da wärst. Cathbad ruft uns zu sich an die Quelle, und ich… ich habe Angst, Caradoc“, gestand ich ihm diesen Teil meiner Seele, den ich vor allen anderen immer und stets verborgen hielt. Keinem meiner Brüder hätte ich diese drei Worte je gegenüber gesagt. Niemals. Ich war immer der, der die Last für alle anderen trug, der Starke, derjenige, der es wieder richtete. Ich durfte keine Angst haben. Aber hier und jetzt im Traum, konnte ich es dem toten Caradoc sagen.
Er streichelte leicht über meine Wange. Ich weiß, Louarn. Aber wir brauchen dich noch. Du hast ja keine Ahnung….“
Ich schaute auf und fühlte mich leicht verzweifelt. “Aber wofür denn? Warum kann Cathbad mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich bin ihm von keinerlei Nutzen!“
Caradoc wirkte unendlich traurig, als er seine Hand wieder senkte und nach Worten zu ringen schien. “Louarn… es ist nicht so einfach...“
“Sag es mir!“ brach es aus Verzweiflung aus mir heraus. Ich verstand nichts von alledem. Nichts von Cathbads Plänen, nichts von meinen Träumen, nichts von alledem. Ich war vielleicht der dümmste Mensch auf der ganzen Welt. Aber es quälte mich! Auch wenn ich es nicht verstand, wollte ich es wenigstens einmal hören, warum das alles von mir verlangt wurde.
“Weil es dir vorherbestimmt ist“, antwortete Caradoc traurig und fasste meine Hand. Weißt du eigentlich, wie selten deine Gabe ist, Louarn? Das hier, das was du jetzt tust, weißt du eigentlich, was das ist? Nur einer unter zehntausend Druiden kann hier auf diese Ebene, und nur einer von zehntausend davon kann das hier nicht nur sehen, sondern sich bewegen. Reisen, Louarn! Sich mit allem hier unterhalten! Dass du mit mir reden kannst, Louarn!“
Ich verstand gar nichts, denn alle Menschen träumten. Nur weil meine Träume manchmal anders waren, war das noch lange nichts besonderes, aber Caradoc sah mich eindringlich an und drückte mein Handgelenk. “Aus der Linie der Könige über die Adlerfelsen wird aus Leid und Blut und dem Untergang des heiligen Steinkreises der geflügelte Fuchs geboren. Aus seinem Blut wird der eine entstehen, der das Schicksal der Druiden sein wird. Er wird die Macht von Himmel und Stein haben, wird wandern unter den Sternen und im Nebel, Barde und Zauberer, und der eine König wird durch ihn zur Herrschaft finden, wenn Schwert und Stein entzweit werden.

Du bist der Geist des geflügelten Fuchses, Louarn! Aus deinem Blut wird der eine geboren, der Wanderer, das Kind ohne Vater, und er wird deine Gabe haben, zwischen hier und dort zu reisen, und er wird das Schicksal der Druiden in sich tragen, da er der letzte von reinem Blut sein wird. Verstehst du es nicht, Louarn? Cathbad kennt die Worte der Prophezeiung. Er denkt, er kann sie beeinflussen, indem er dich unter seiner Kontrolle behält. Aber er versteht die Zeitspanne des ganzen nicht.“
Ich verstand absolut gar nichts von dem, was Caradoc mir zu sagen versuchte. Wirklich, gar nichts. Nur, dass er wieder auf die Prophezeiung anspielte, deren Hauptbestandteil seiner Meinung nach ich wohl war. Aber das war auch schon alles, der Rest war für mich absolut unverständlich.
Ich wollte ihn danach fragen, aber genau in diesem Moment, fing sein Körper an, zu Nebel zu werden. Erst wurde er etwas undeutlich, dann fühlte ich seine Berührung nicht mehr und er verwandelte sich in Rauch. “Nein, NEIN! Warte!“ rief ich verzweifelt, aber als ich nach ihm griff, um ihn festzuhalten, griff ich nur in eine sich auflösende Wolke.


Als ich aufwachte, hatte ich sehr ekelhafte Kopfschmerzen und fühlte mich verwirrt und leer und müde. Aber es half nichts, wir wollten aufbrechen, und ich musste unsere Pferde bereit machen. Also quälte ich mich hoch, ging nochmal zu Alan, um ein wenig zu plaudern, und bereitete unsere Abreise vor.


RE: Mietstall des Alan - Louarn - 10-22-2024

Durchweicht, übermüdet und verdammt schlammig trotteten das Packpferd, mein Brauner und ich schließlich in den frühen Morgenstunden nach Iscalis hinein. Die Leute wichen uns aus, sofern überhaupt jemand auf den Straßen war, denn noch immer war alles nass und es regnete immer wieder. Aufhalten oder ansprechen tat mich niemand. Aber ich muss zugeben, dass mir das auch ganz gelegen kam, denn ich war einfach nur müde und fror und tief in meinen Gedanken versunken.
Fast automatisch lenkte ich das Pferd in Richtung Alans Stall. Ich war die Straße so oft entlang geritten, dass ich fast verwundert war, dass das Pferd den Weg nicht allein fand – bis mir einfiel, dass es ja ein anderes Pferd war. Eine andere Zeit. Ja, mir kam es gerade vor, wie ein ganz anderes Leben. Vor einem halben Jahr war das Leben so viel einfacher gewesen. So wahnsinnig viel einfacher. Auch wenn es nicht echt war, wie ich jetzt im nachhinein wusste. Aber damals… es hatte sich echt angefühlt.

Vor dem Stall blieb ich stehen. Irgendjemand hatte damit angefangen, das abgebrannte Gasthaus gegenüber abzutragen und die Trümmer zu beseitigen. Der Platz würde sicher bald wieder neu in Anspruch genommen werden, er lag zu zentral, als dass er ewig frei bleiben würde. Und ein Stückchen weiter hatte jemand einen neuen Brunnen gebraut.
Die Stalltür stand offen und mir schlug der warme Geruch von Heu und Pferden entgegen. Und doch zögerte ich, abzusitzen. So ganz genau wusste ich nicht, warum. Es fühlte sich irgendwie falsch an. Es fühlte sich so an, als hätte ich nicht verdient, hier zu sein. Und ich wusste auch gar nicht, was ich Alan sagen sollte. Oder was ich tun sollte, wenn er mich wegschickte.
Ganz langsam stieg ich ab. Mein Brauner wollte nach drinnen, ins trockene. Ich verstand das, ich konnte froh sein, wenn die Stute nicht krank wurde. Aber ich konnte mich trotzdem nicht ganz überwinden.
“Louarn?“ hörte ich eine vertraute Stimme fragend, und dann freudigeres Erkennen. “Junge! Da bist du ja wieder!“
“Haia, Alan“, sagte ich und blickte gerade vorsichtig vom Boden auf, als ich auch schon in eine halbe Umarmung von alten, aber noch kräftigen armen kurz gezogen wurde. Ein seltsames Gefühl breitete sich kurz in mir aus. Da war Freude, aber… auch noch etwas anderes.
“Was stehst du hier im Regen rum? Komm herein!“ forderte er mich auf und naja, dann machte ich das und brachte die Pferde erst einmal hinein in die Stallgasse. Ich sattelte beide ab und rieb sie mit trockenem Stroh etwas ab, während Alan mich ausfragte, wo ich gewesen war, ob ich bleiben würde. Nach zwei, drei ausweichenden Antworten verstand er, dass ich nicht reden wollte im Moment. Und dass er nicht mehr weiterfragte, ließ den Knoten in meinem Hals nur noch weiter wachsen.
Als ich soweit mit meinem Braunen und dem Packpferd war, dass ich sie in eine Box bringen konnte, überwand ich mich. “Ich weiß, ich war lange weg. Viel länger, als ich erwartet habe. Und ich weiß, du bist keine Herberge, aber… kann ich erst einmal auf dem Heuboden schlafen?“
Eine kurze Schweigepause, ehe ein einzelnes Wort mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohte. “Nein. Der Heuboden ist für den Winter befüllt, dort oben passt keine Maus mehr hin.“
Ich bemühte mich, mir dieses Loch in meiner Seele nicht anmerken zu lassen, das sich gerade aufgetan hatte, als ich eine Hand auf meiner Schulter fühlte. “Du schläfst bei mir in der Hütte.“

Der Knoten wurde unendlich groß und trieb Tränen in meine Augen, die ich nicht zeigen wollte. Ich nickte, unfähig, gerade zu antworten. Alan klopfte mir zweimal leicht auf die Schulter und zog sich dann zurück. “Ich hab dich vermisst, Junge“, sagte er noch im Gehen und ließ mich schweigsam, nickend und tropfend erst einmal zurück.


RE: Mietstall des Alan - Louarn - 10-23-2024

Ich hatte geschlafen wie ein Toter, wenn ich Alan glauben durfte. Ich hatte mich nur ausgezogen und gewaschen und dann hingelegt und fast den ganzen Tag verschlafen. Abends hatte Alan mir etwas zu essen vor die Nase gestellt, aber sonst nicht viel mit mir geredet. Ich glaube, er wartete darauf, dass ich von selbst etwas sagen würde, aber ich wusste nicht, was. Also schwieg ich die meiste Zeit. Naja, ich sagte ihm, dass ich ihm das Packpferd geben wollte, als Bezahlung für.. naja, einfach alles, aber er wollte davon nichts wissen. Für mich war es jetzt trotzdem seines, denn ich brauchte es nicht wirklich und er tat so viel für mich, dass ich ihm irgendwas zurückgeben wollte. Wenn ich sonst schon nichts konnte.

Als der nächste Morgen kam, fing ich auch ganz automatisch mit der Arbeit an. Ich wusste, was zu tun war, was die Tiere brauchten, schaute mir den Zustand aller Pferde an, bandagierte mal hier ein Bein mit Kräutern oder nagelte mal dort ein Hufeisen wieder an den Huf, bewegte die Tiere, die es nötig hatten auf dem Geviert und vor allen Dingen schindete ich Zeit. Denn es gab noch etwas, was ich tun sollte, aber ich wusste auch davon nicht so wirklich, wie ich das machen sollte.
Es dauerte bis zum frühen Nachmittag, bis ich mich soweit zusammennehmen konnte, um auch bei Calum und Flavianus Pü vorbeizuschauen und sie wissen zu lassen, dass ich wieder da war.


RE: Mietstall des Alan - Louarn - 11-24-2024

Alan hatte es irgendwie geschafft, in seine kleines Häuschen ein zweites Bett hineinzubekommen, während ich bei Peigi war. Ich hatte ein wahnsinnig schlechtes gewissen deswegen, aber er ließ keine Einwände gelten und bestand darauf, dass ich ab jetzt ein ordentliches Bett bei ihm haben würde und nicht mehr wie ein Herumtreiber – seine Worte – in seinem Stall schlief. Ich brachte es weder übers Herz, ihm zu sagen, dass ich mich wahrscheinlich trotzdem immer wieder mal herumtreiben würde, noch, dass es das erste Mal war, dass mir jemand ein Bett geschenkt hatte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, mal eines nur für mich gehabt zu haben.

Die nächsten tage waren davon geprägt, ihm im Stall fleißig zu helfen. Er beschwerte sich zwar nie über die Arbeit und ließ sich nichts anmerken, aber ich merkte, wie er sich die Handgelenke rieb, wenn er ein Pferd neu beschlagen musste, und wie er beim Ausmisten manchmal ächzte und sich leicht den Rücken stützte, wenn er dachte, ich schaue nicht hin. Ich übernahm also alles, was an schwerer Arbeit anfiel, und irgendwie tat es mir auch gut. Zwischendurch ritt ich die Pferde abwechselnd ein wenig außerhalb der Stadt, damit sie Bewegung bekamen. Ein paar der armen Dinger standen hier schon über eine Woche unter, ohne dass sich ein Besitzer hatte sehen lassen. Alan machte eine Strichliste, um festzuhalten, ab wann die Pferde ihm gehören würden, weil die Besitzer die Miete nicht zahlten. Bei ein oder zwei fehlten vielleicht noch zwei Wochen – und Pferde waren nicht billig. Wer ließ bloß sein Tier so lange in einem Mietstall stehen? Die Leute waren verrückt.

Und Alan fütterte mich regelrecht. Anfangs kostete es wirklich Überwindung, zu essen, wenn ich keinen Appetit hatte, aber er sagte nur “Der Appetit kommt beim Essen! Also iss!“ und nun ja, also aß ich. Und setzte wieder etwas mehr Fleisch an. Ganz, ganz langsam. Oder naja, mein Magen knurrte zumindest nicht mehr unkontrolliert und Alan meinte, die Ringe unter meinen Augen seien endlich verschwunden. Bis ich wieder all das zugenommen hätte, was ich abgenommen hatte, würden Monate vergehen.

Es waren also ein paar Tage vergangen, bis ich eines Abends die Augen schloss und mich in einem Traum wiederfand. Ich hatte so gehofft, keine mehr zu haben.


RE: Mietstall des Alan - Louarn - 11-25-2024

Graue Wolken hingen tief und türmten sich wie Berge links und rechts von mir. In ihnen schien etwas lebendig zu sein, und immer wieder erhellten Blitze ihre Umrisse, doch kein Donner war zu hören. Nein, es hörte sich mehr an wie Stimmen, verzerrt und dröhnend, und ich legte furchtsam die Ohren an und machte meinen Fuchskörper ganz klein, während ich zwischen ihnen hindurchschlich auf der Suche nach einem Unterschlupf.
Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprachen, aber sie schienen über irgendetwas zu streiten.
“Uns bleibt keine Zeit mehr….. schon auf dem Weg!“ Eine Frauenstimme, hell wie Silberglocken.
“...Es ist nie die rechte Zeit, wir wussten...“
“… haben gesehen, und doch verwirkt sich der Traum!“
“Keine Zeit!“ Aufgeregt. “Keine Zeit“ Traurig.
“… haben versucht…. Was jetzt?“

Sie schwiegen eine Weile, und ich huschte möglichst klein zu etwas, das wie ein Moor aussah. Hohe Sträucher, verschlungene Wurzeln, Geruch nach Moder und Schlamm und Teer. Nicht der Ideale Ort für einen Fuchs, aber besser als diese Wolken. Wenigstens ein wenig Deckung.

“Sie opfern!“ bemerkte eine männliche Stimme wie Salz und Wasser.
Und irgendwie fühlte ich die Aufmerksamkeit dieser Wolken genau da, wo ich war. Verdammt. Ich duckte mich, wodurch mein Fell am Bauch nass wurde, und machte mich klein. Ich hatte von einem Opfer nichts bemerkt, aber irgendwie schien es, als würde mein Busch sich mitsamt mir von alleine bewegen und auf einmal war vor mir eine größere Menschenansammlung. Zwei Männer in weißen Gewändern hielten ein nacktes Kind zwischen sich. Irgendwas stimmte mit seinem Körper nicht, er war viel zu schlaff, seine Füße standen in seltsamen Winkeln. Und er war so wahnsinnig jung.
“Nein, nicht!“ flüsterte ich, wortlos als Fuchs, und es hätte keiner auf mich gehört, selbst wenn ich ein Mann gewesen wäre. Ich wusste es, aber es war trotzdem ein endloses Grauen in mir. Einen Gefangenen zu Opfern, einen Verbrecher, das war Gerechtigkeit. Einen Freiwilligen, den Jahreskreiskönig zu Samhain, um nach einem schlechten Jahr im nächsten Jahr eine bessere Ernte zu haben, war ein heiliger Akt. Aber ein Kind, das kaum das Leben gekostet hatte? Das war kein Opfer, das den Göttern in Ehre dargebracht wurde. Ein Kind zu töten war falsch. Immer.

Doch dann sah ich, wer zu dem Kind trat, und ich machte mich noch kleiner und wagte nicht einmal mehr zu atmen. Cathbad, umgeben von dunklen Schatten und Augen wie Kohlen, trat zu dem Kind und erwürgte es. Ich konnte nicht hinsehen, aber ich konnte auch nicht wegsehen. Es war grauenvoll, und ich sah den zufriedenen Gesichtsausdruck dabei auf Cathbads Zügen, verborgen hinter einer gelassenen Maske. Aber der Schatten grinste breit sein Kohlenlächeln und freute sich. Wie er sich gefreut hatte, als Dunduvan gestorben war. Wie er sich freuen würde, wenn er dasselbe mit Calum machen würde, nur schmerzhafter.
Dann trat Anwen vor und schlug auf den Schädel des Jungen mit einer Axt, und zog zuletzt ein Opfermesser durch seine Kehle. Ein dreifacher Tod. Dreifach geopfert. Dreifach verflucht. Mir war schlecht, und noch nie im Leben war ich glücklicher, eine Frau abgelehnt zu haben, die sich mir angeboten hatte. Ich fühlte gerade fürchterlichen Ekel, während das Kind im Moor versank.

“Was soll ich denn machen?“ entrüstete sich wieder eine Stimme in den Wolken.
“… helfen…" "...kämpfen...“ Die Wolken setzten ihren Streit fort, während ich unter einem Busch lag und versuchte, lautlos zu würgen. Mir war schlecht, und ich wollte nur weg.Aber ich kam nicht weg, während ich mit meiner Übelkeit kämpfen musste.

Und so lag ich da und sah, wie die Schatten mit den Kohleaugen um Anwen schwirrten und zu ihr flüsterten, während sie das Blut des Kindes auf einen dabeistehenden Mann schmierte. Wie sie um diesen Mann schwirrten und auch zu ihm flüsterten.

Ich war fertig, mich zu übergeben, und schaute über die Szenerie. Die Menschen waren abgelenkt, viele knieten. Keiner beachtete mich. Oder die stimmvollen Wolken, die sich beratschlagten und miteinander stritten.
Ich schlich also ganz dicht am Boden möglichst lautlos davon. Ich hatte die Szenerie ein gutes Stück hinter mir gelassen und fing an, jetzt normal und schnell zu laufen, um nur ja weit weg zu kommen, als vor mir auf einmal einer der Schatten auftauchte. Ich bremste jäh ab, so dass mein Hintern am Boden streifte, und sah das Ding schreckerfüllt an. Es grinste mich an. Sehr breit. Mit einer Stimme, die fürchterlich vertraut klang, und doch wie Rauch und Eis und Asche, Eisennägel unter der Haut und Feuer unter den Füßen, Blut an der Klinge und das Wehklagen einer Mutter , sagte er: “Ich komme, kleiner Fuchs.“


RE: Mietstall des Alan - Louarn - 11-26-2024

Ich schreckte jäh aus dem Schlaf hoch, meine Kehle fühlte sich wund an. Dem ebenfalls erschreckten Brummen von Alan entnahm ich, dass ich wohl geschrien hatte.
“Was ist los? Wo sind die Angreifer?“ fragte der Alte, während er sich aus seiner Decke kämpfte und nach irgendwas zur Verteidigung angelte. Mein Herz raste noch schmerzhaft stark in meiner Brust und in meinem Mund schmeckte ich Galle und den noch bittereren Geschmack der Angst, aber es war nur ein Traum gewesen. Ein fürchterlicher, fürchterlicher Traum.
“Keine Angreifer. Tut mir leid, Alan. Ich… ich hab schlecht geträumt.“
Alan hatte in der Zwischenzeit sein langes Messer gefunden und stand nackt und bewaffnet im Raum. Es war zwar dunkel, aber ich konnte ihn trotzdem recht gut erkennen, und auch, wie er mürrisch dreinblickte. “Dann vertreib die Elfen, die deinen Kopf rumtanzen. Ich will noch ein wenig schlafen, bevor die Pferde und die nervigen Leute was von mir wollen.“ murrte er und stieg ächzend wieder in sein Bett. Sein Messer behielt er diesmal aber bei sich und legte es unter das Kissen.
“Ja, Alan. Tut mir leid“, sagte ich noch einmal und versuchte, mich wieder hinzulegen. Von da starrte ich in die Dunkelheit über mir und sagte mir immer wieder, dass all das nur ein Traum war. Aber wenn ich die Augen schloss, konnte ich immer noch die Schatten mit ihrem brennenden Lächeln sehen. Und irgendetwas in mir war sich sicher, dass Cathbad bald wiederkommen würde.


RE: Mietstall des Alan - Louarn - 11-27-2024

Ich arbeitete im Stall. Das ungute Gefühl, dass ich seit dem Traum hatte, ließ sich irgendwie auch nach drei tagen nicht wirklich abschütteln. Es war wie ein nasses Hemd, das einem am Körper klebt: Kaum hatte man es an einer Stelle gelöst, klebte es an einer anderen. Nur dass es sich nicht wie Wasser anfühlte, sondern klebriger, wie Teer oder so etwas.
Ich versuchte mich abzulenken, aber das Gefühl blieb und wurde nach einigen Tagen noch stärker. Sogar die Pferde wirkten unruhig, wenn ich mit ihnen arbeitete. Aber ich versuchte, es so gut es ging, zu ignorieren. Auch wenn das Gefühl, dass ich irgendwas tun sollte, übermächtig wurde. Aber ich hatte keine Ahnung, was.

Bis eines Tages ein Mann mittleren Alters in den Stall kam. Ich dachte, er wolle ein Pferd leihen, also ging ich zu ihm. Aber ehe ich ihn auch nur richtig begrüßen konnte, schaute er mich mit leeren Augen an. Mit monotoner Stimme sagte er nur: “Louarn, zur Falkenhöhle! In zwei Tagen!“ Ich stand noch wie versteinert da, als der Mann verwirrt blinzelte und den Kopf schüttelte und “Was mach ich hier?“ murmelte. Er war bezaubert, soviel wusste selbst ich. Und ich kannte nur sehr wenige Personen, die so etwas bewerkstelligen könnten, und noch weniger, die eine Nachricht so überbringen würden. Und ich erkannte den Ton in der Stimme, auch wenn die nur geliehen war.

Mir war schlecht und ich dachte wieder an meinen Traum, ehe ich mich ziemlich bleich auf die Suche nach Alan machte, um ihm zu sagen, dass ich noch einmal los musste, etwas wichtiges erledigen. Ich hoffte, dass ich wieder zurückkehren würde. Und ich hatte Angst vor all dem, was auf mich warten könnte.