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Normale Version: [Dienstraum] Der Fall Verctissa
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[Bild: Paar-w-palacu-irydiona-w-rzymie-irydion-...2-1915.jpg]


Der Termin für die Keltin Verctissa und deren Vertreter, den offiziellen Dolmetscher  Lucius Tarutius Corvus,  war in diesem etwas abgelegenen zweiten Stockwerk in einem Nebenzimmer arrangiert worden. Hier gab es keinen Publikumsverkehr, und nur ausgewählte Wachen und vertrauenswürdige Bedienstete des Statthalters wie Pertax würden die Frau und ihren Begleiter überhaupt zu Gesicht bekommen. ..



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Lucius Petilius Rufus setzte sich.

Der Raum war weitestgehend leer geräumt worden, um ihn größer wirken zu lassen, als er tatsächlich war, so dass der einfache Stuhl in Art einer sella curulis das einzige wirkliche Möbelstück war. Der Rest der Leute würde, wie es bei Gericht ja auch üblich war, stehen.

Zu seiner Sicherheit waren noch insgesamt vier Wachen – zwei Liktoren und zwei equites singulares – im Raum, die allesamt stoisch blickten, und natürlich sein Sekretär Petilinius Pertax mit einer allgegenwärtigen Schreibtafel, um dem Ganzen den Anschein einer offiziellen Anhörung zu geben. Im Grunde wusste Rufus schon, wie es ausgehen würde, und hatte die wichtigsten Dinge mit Pertax schon abgesprochen, aber wenn es dem Frieden zuträglich war, würde er sich also diese Keltin einmal anhören.

Als Rufus also bequem saß und alles bereit war, gab er der Wache an der Tür einen kurzen Fingerzeig, so dass er die Tür öffnen würde und das Schauspiel beginnen konnte.
Mir war klar, diese Anhörung war nichts anderes als ein Possenspiel! Dennoch hatte ich dafür gesorgt, gut vorbereitet zu sein. Nysa hatte meine beste Toga gewaschen und sie mir heute Morgen angelegt. Verctissa hatte ich am Tag zuvor noch einmal besucht und ihr gesagt, das ihre Anhörung in einem anderen Rahmen stattfinden würde. Ich hatte sie darin bestärkt, alles so wiederzugeben, wie sie es bei ihrem Besuch in der Zivilverwaltung berichtet hatte. Zu guter Letzt versicherte ich ihr auch, dass ihr Gerechtigkeit widerfahren würde, ganz gleich wie die Anhörung ausging. Natürlich hoffte die Frau darauf, der Statthalter würde ohne Ansehen ihrer Person entscheiden und dass vor dem Gesetz alle gleich wären. Diese Illusion wollte ich ihr auch nicht nehmen, um ihr nicht noch mehr Kummer zu bereiten.

Nun war der Tag gekommen. Ich fand mich in dem etwas abseits gelegenen Raum ein. Der Statthalter war bereits zugegen. "Salve, verehrter Statthalter Petilius Rufus!" grüßte ich ihn freundlich. "Meine Mandantin wird sicher gleich erscheinen," versicherte ich ihm uns spürte die Aufregung in mir, wie sie langsam stärker wurde. Aber wir lagen gut in der Zeit, denn er Princeps officii war auch noch nicht zugegen.
Saturninus hatte Verctissa vor der Porta entdeckt, wo sie etwas verloren herum stand. Die Leibesvisitation durch die Wachen hatte er ihr nicht erspart. Erstens war sie keine Römerin und zweitens ging die Sicherheit des Statthalters vor. Da sie kein Latein sprach, machte er ihr dann ein Zeichen, dass sie folgen sollte. Er trat ein:
"Salve edler Statthalter Petilius Rufus, salve Tarutius, hier bringe ich dir deinen Schützling Verctissa", sagte er und blieb neben dem Dolmetscher stehen.


Verctissa hatte sich so schön gemacht, wie sie nur konnte. Außer den Torques um ihren Hals trug sie eine Kette aus Muscheln und Glasperlen, und ein neues Gewand (das ihr ihre Nachbarin geliehen hatte) Sie war sehr scheu und nervös. Den Princeps Officii kannte sie schon, er war kühl und schien nicht viel Geduld zu haben.
Der, der auf dem Stuhl saß, war das der ....Stellvertreter des Rix der Römer? Zwei Soldaten gab es und zwei Männer wie Statuen, die etwas Seltsames mit sich trugen: Jeder ein Rutenbündel mit einer Axt darin. Verctissa hatte das noch nie gesehen.
Aber sie beobachtete gut , und es war ihr, als würden sich alle, die standen: Die Wachen, die Rutenbündelmänner, der Schreiber und die beiden Römer  im Raum auf Petilius Rufus konzentrieren. Sie machte eine Verbeugung vor ihm:
"Ich grüße Dich, Herr. Mein Name ist Verctissa, Vernicos Mutter", sagte sie sehr leise.

Dann erst ging sie zu Tarutius Corvus. Eine Last fiel von ihren Schultern. Der junge Römer war der Einzige, der sie voller Mitgefühl angeblickt hatte, der Einzige,  in dessen Augen Wärme lag. Er war anders als die anderen - und er sprach ihre Sprache.
Verctissa drückte Tarutius rasch die Hand, dann stellte sie sich neben ihn.
Lucius Petilius Rufus wartete, bis alle da waren.

Der Anwalt der Frau war noch ein halbes Kind und wahrscheinlich voller jugendlichem Elan, was wohl auch nötig war, so einen Fall zu übernehmen. Ältere Rechtsanwälte hätten die Frau wohl gleich wieder nach Hause geschickt. Aber die Jugend war noch voller Hoffnung und unbefleckt von den Wirren der Politik. Naja, zumindest, wenn man niedrig genug geboren war und nicht ab Geburt auf ein Amt vorbereitet wurde.
Die Frau selbst war deutlich älter, gediegener und einfacher. Man sah ihr an, dass sie sich herausgeputzt hatte, aber es blieb eine Gemeine aus dem einfachen Volk. Und sie hatte offensichtlich ein wenig Angst. Rufus bemühte sich, nicht gar zu streng zu schauen, ohne dass es seiner Rolle als Statthalter abträglich wäre. Zu viel Freundlichkeit wurde gerne als Schwäche ausgelegt. Aber man musste dennoch eine Mutter, die ihren Sohn betrauerte, nicht niederstarren.
Er straffte also die Schultern und gab sich dann entspannt. “Nun, da wir alle hier sind: Bürger Tarutius Corvus. Du hast das Wort, den Fall deiner Mandantin vorzutragen.“ Rufus wusste nicht einmal, ob die frau verstand, was hier geschah oder was er sagte. Aber Frauen hatten vor Gericht ohnehin wenig zu sagen und genau dafür eben einen männlichen Vertreter, der für sie sprach.
Es dauerte nicht lange, da erschien auch der Furier. Er hatte die alte Keltin mit in den Raum gebracht und begrüßte nun zuerst den Statthalter und dann auch mich.
"Salve Furius Saturninus! Besten Dank!", erwiderte ich und nickte der Frau freundlich zu.
Verctissa hatte sich für den heutigen Tag wirklich hübsch herausgeputzt. Sie trug ein neues Kleid, eine Kette mit bunten Glasperlen und Muscheln und trug sogar einen Torques, der davon kündete, dass sie und ihr Mann einst höher gestellt gewesen waren. Sie grüßte zunächst Petilius Rufus. Dabei wirkte sie auch diesmal wieder sehr scheu und nervös. Schließlich jam sie dann zu mir, drückte meine Hände und blieb neben mir stehen. Auch wenn ich es besser wusste, nickte ich ihr noch einmal zuversichtlich zu. 
Als Petilius mir das Wort erteilte und mich dazu aufforderte, Vercissas Fall vorzutragen, begann ich zunächst mit der Übersetzung ihrer Begrüßung. "Verehrter Statthalter Petilius Rufus, es grüßt dich Vertissa, Vernicos Mutter. Um die Ermordung ihres Sohnes geht es im folgenden Fall, den meine Mandantin dir vorlegen möchte," begann ich.
 "Vor etwa zwei Monaten begab sich meine Mandantin mit ihrem Sohn Vernico, der damals achtzehn Jahre alt war und an Sumpffieber erkrankt war, ins hiesige Neubaugebiet zur Praxis des Medicus Flavianus Pytheas. Sie wurde von ihrer Nachbarin, einer gewissen Totia, begleitet, die für sie übersetzen sollte. Da die Tür zur Praxis zu diesem Zeitpunkt noch verschlossen war, mussten sie warten. Als sich dann plötzlich die Tür öffnete, trat nicht etwa der Medicus heraus, sondern ein großer blonder Mann mit einem blutverschmierten Gesicht und einem Schwert in der Hand. Er trug eine Tunika, ein Cingulum, wie es für Legionäre üblich ist, und ein auffälliges, mit Gold verziertes Schwertgehänge. Das Blut in seinem Gesicht stammte von einer Verletzung - einem kleinen Schnitt. Dieser Mann hat ihren Sohn ohne ersichtlichen Grund niedergestochen. Daraufhin ist der Täter davongerannt. Ihr Sohn brach zusammen und starb dann vor Ort. Meine Mandantin hat um Hilfe geschrien, aber niemand wollte ihr helfen."" Soweit hatte ich nun Verctissas Aussage frei wiedergegeben.
"Die Aussage meiner Mandantin, wurde durch die Nachbarin Totia bestätigt," ergänzte ich noch.
Lucius Petilius Rufus schaute väterlich.

“Aussagen werden von Gerichten bestätigt, guter Tarutius. Die Nachbarin Totia kann es bezeugen“, meinte er leise, ruhig und freundlich, da er annahm, dass dies wahrscheinlich der erste Fall des jungen Mannes vor einem Gericht war und Tarutius Corvus wahrscheinlich auch nervös war. Normalerweise verhandelten junge Anwälte ihre ersten Fälle vor dem Ädil oder, wenn es wirklich etwas größeres war, vor dem Duumvirn und nicht vor dem Legatus Augusti. Und der junge Mann war jünger als Rufus’ Sohn. Da hatte er sowas wie Welpenschutz.
Trotzdem verzichtete Rufus darauf, hier zu lächeln oder zu zwinkern oder dergleichen, da dies wohl für die keltische Mutter dann verletzend gewesen wäre. Sie wollte ihr Leid dem Legaten klagen, also würde Rufus auch in dieser Rolle bleiben. Und eben als solcher richtete er seinen Blick auf die Mutter. Auch wenn schon klar war, wie das alles ausgehen würde, wollte er doch den ganzen Weg gehen.
Die Beschreibung kam ihm natürlich bekannt vor und passte sich in die anderen Geschichten, die ihm zugetragen worden, ein. Es wäre schon ein wahnsinnig großer Zufall, wenn es noch einen weiteren römischen Offizier mit einer Narbe im Gesicht und blondem Haar geben würde, der an dem besagten Tag zufällig in der Nähe der Praxis des Medicus Flavianus gewesen wäre. Aber auch bei dieser Beweislast war der Frieden wichtiger als das Recht. Würde ein römischer Offizier so öffentlich verurteilt werden, Rufus würde den Rückhalt der Legionen verlieren und keltische Aufständische würden sich ermutigt fühlen. Politik war ein schmutziges Geschäft.
“Kennt deine Mandantin den Mann? Woher weiß sie, dass es ein Römer war und nicht ein Kelte, der einem römischen Legionär als Kriegsbeute das Cingulum abgenommen hat?“
Petilius Rufus schlug einen nahezu väterlichen Ton gegenüber Tarutius Corvus ein. Der Junge besaß die Leidenschaft eines Anwalts, das war gut. Nun stellte der Statthalter ihm eine Frage - nicht schroff, aber sachlich. Saturninus war sich nahezu sicher, dass seine Mandantin kein Wort verstanden hatte. Ebenso wie er sich sicher war, dass sie mit ihrem toten Sohn keine Chance hatte. Es gab nicht einmal einen römischen Bürger als Zeuge - Ovidius Decula achtete wohlweislich darauf, sich nicht mit seinesgleichen anzulegen, sondern mit Standesniedrigeren: Peregrinen, Freigelassenen, Sklaven. ( Eines Tages, wenn die seiner Grausamkeit nicht mehr genügten, würde er vermutlich auch andere angehen, aber jetzt war er noch nicht so weit) Und Latinerinnen, fiel Saturninus wieder ein: Liciniana Aglaia. Nur seinesgleichen konnte dem Tribunen das Handwerk legen. Saturninus arbeitete auf seine ganz eigene Weise daran, eine Gefahr für den hiesigen Frieden abzuwenden und nebenher noch seinem lieben "Wind aus Arkadien" Genugtuung zu gönnen: Petilius Rufus sollte auf Ovidius aufmerksam  werden. Verctissa und Tarutius Corvus waren für dieses Ziel von Nutzen. Das Fazit würde dann der Statthalter ziehen. Saturninus hielt sich heraus und war nur Zuschauer.

[Bild: Keltin-ida-sormuse-portree-nikolai-triik-ekmj.jpg]

Verctissa  versuchte im Mienenspiel zu lesen. Der Vertreter des Rix fragte nun ihren Dolmetscher Tarutius Corvus etwas. Seine Stimme klang nicht böse oder verächtlich. Sein Blick war der eines weisen Mannes. Er war gewiss ein gerechter Herrscher, sonst hätte er sie nicht einbestellt. Sie biss sich auf die Lippen. Immer noch war sie eingeschüchtert, doch in ihrem Herzen glomm eine kleine Hoffnung auf Gerechtigkeit auf. 
Was hatte der Richter gefragt?
Ich war innerlich sehr aufgewühlt. Zumal mich der Fall dieser Frau selbst sehr mitnahm. Aber es war auch meine Aufgabe, die mir einiges abverlangte und schwer auf mir lastete. Dies war das erste Mal, dass ich vor dem ranghöchsten Römer Britannias sprach und es dabei um nichts geringeres ging, als um Gerechtigkeit für eine Keltin zu erwirken, deren Sohn von einem römischen Tribun getötet worden war. Ein anderer hätte sich wahrscheinlich nicht so viel Mühe gemacht und sein ganzes Herzblut mit einfließen lassen, wo doch jetzt schon klar war, dass diese Sache hier nicht von Erfolg gekrönt sein würde. Doch ich tat es und als mich der Statthalter dann auf einen Fehler aufmerksam machte, der mir in meiner Aufregung passier war, errötete ich zunächst. "Oh ja, natürlich! Ich bitte um Entschuldigung." 
Doch Petilius Rufus ließ Nachsicht walten. Dadurch wuchs in mir die Hoffnung, dass er auch vielleicht Vertissa wohlgesonnen sein könnte. Ich sah noch einmal zu ihr. Sie hatte rein gar nichts von dem verstanden, was ich gesagt hatte. Doch ihre wachen Augen hatten versucht, Antworten in der Mimik und Gesten zu finden. Eines war sicher, ihre ganze Hoffnung lag nun auf mir.

Als der Statthalter nun seinerseits Fragen stellte, übersetzte ich sie für Verctissa, deren fragender Blick schon auf mir lag. Ich hoffte, sie hatte darauf ein paar gute Antworten parat.
[Bild: Keltin-ida-sormuse-portree-nikolai-triik-ekmj.jpg]

"Kanntest du den Mann? Woher wusstest du , dass es ein Römer war und nicht ein Kelte, der einem römischen Legionär als Kriegsbeute das Cingulum abgenommen hat?“

Verctissa hatte den Mörder nicht gekannt. Wie einer der Hunde aus dem Totenreich, die Cŵn Annan, war er gewesen, bleich und rot und mit geisterhaftem Haar.  Er war kein Kelte, nein. Sie versuchte, zu erklären:

"Sage dem Herrscher, dass nicht nur der Gürtel da war. Ein Schwertgehänge auf der linken Seite trug er, es war aus Plättchen aus Gold. Und ein Schwert, nicht groß" Sie zeigte die Größe mit dem Auseinanderstrecken der Hände:
"Ein römisches Schwert in seiner rechten Hand!"

Und ihr fiel etwas ein, etwas so Unscheinbares, dass sie es normalerweise nicht bemerkt hätte. Aber wenn sie die Augen schloss, sah sie den Mann mit den Fischaugen vor sich. Er hatte ihren Sohn und sie angeschaut, als wären sie nur ein Stück Dreck unter seinen Fußsohlen und dabei sein Kinn gehoben:

"Hier am Kinn hatte er eine kleine Stelle. Keine Narbe war es, sondern eher Hornhaut. Das kommt von den Soldatenhelmen, und ich habe sie schon bei euren Soldaten gesehen"
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