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Normale Version: Prolog: Merulas Heimkehr - oder: Die Fußstapfen des Vaters
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Jede Nacht sah ich die Schatten von neuem. Wie sie aus den Nichts auf mich zukamen und wie sie versuchten, mich mitzureißen. Wie ihre gierigen Klauen nach mir trachteten und ich dabei große Mühe hatte, sie abzuwehren. Jede Nacht endete es damit, dass ich schweißgebadet aufwachte und feststellen musste, dass ich mich noch immer in demselben schwachen Körper eines Krüppels befand, der  nie wieder im Stande sein würde, sich normal fortbewegen zu können.

Mein Leben war ein anderes geworden, seit jenem Tag vor über einem Jahr. Dabei hätte ich gar nicht genau erklären können, was mit mir an diesem Tag passiert war. Ich sah immer nur wieder diese fürchterlichen Kreaturen mit ihren blau angemalten Gesichtern vor mir, wie sie laut schreiend aus dem Hinterhalt auf uns zukamen und sich in wilder Raserei auf uns stürzten. Das konnten keine Menschen sein, das waren Dämonen aus der Unterwelt!  Die Pferde begannen zu scheuen. Meines stieg, als sich mir einer der Angreifer laut brüllend direkt in den Weg stellte und mit seinem Schwert herumfuchtelte. Noch immer konnte ich ihn genau vor mir sehen, denn dieses Bild hat sich auf ewig in meinem Hirn eingebrannt. Das blau bemalte Gesicht, das wirre blonde Haar, die hasserfüllten blauen Augen, der goldfarbene Torques, den er um seinen Hals trug und der nackte muskulöse  Oberkörper, der ebenfalls mit blauer Farbe bemalt war. Ich versuchte noch, ihn mit einem Hieb meines Gladius abzuwehren. Aber dann verlor ich den Halt und stürzte vom Pferd. Danach war alles dunkel um mich herum geworden und ich versank im nebligen Sumpf meiner Erinnerungen.

 Später erzählte man mir, man hätte mich begraben unter meinem toten Pferd gefunden. Außer dem offenen Bruch an meinem rechten Bein war ich, wie durch ein Wunder, unversehrt geblieben. Lediglich ein paar Kratzer und Prellungen hatte ich davon getragen. Meinen Männern war es trotzdem gelungen, die silurischen Rebellen im Kampf aufzureiben und die wenigen Überlebenden gefangen zu nehmen.
Einige meiner Kameraden hatten meinen geschundenen Körper zurück in die Castra gebracht, wo sich ein Medicus um mich und mein zerschmettertes Bein kümmerte und die Wunde versorgte. Der Medicus berichtete  mir später, er habe unzählige Knochensplitter aus der Wunde entfernen müssen. Er vermutete, dass mein Bein unter den trampelnden Hufen meines Pferdes verletzt wurde, nachdem es mich abgeworfen hatte und es danach durch die Stiche eines Schwertes getötet worden war. 
Trotz allem entzündete sich mein Bein und das Fieber bemächtigte sich meiner. Tagelang, so berichtete man mir, hatte der Medicus um mein Leben und den Erhalt meines Beines gekämpft. Wie durch einen Wink der Götter, war dann das Fieber nach über einer Woche gewichen.

Das Erste, woran ich mich selbst wieder nach meinen wirren Fieberträumen erinnern konnte, war der bestialische Schmerz, als ich versucht hatte, mein Bein zu bewegen. Ich war dazu verurteilt, wochenlang in meinem Krankenbett zu liegen, um dabei die Gewissheit zu erlangen, mein Bein nie wieder richtig bewegen zu können. Natürlich ahnte ich bereits damals, welche Konsequenz dies zur Folge hatte. Ich würde meinen Dienst nicht weiter fortsetzen können. So war es dann auch. Man hatte damit gewartet, mir meine Entlassungspapiere zu überreichen, bis ich einigermaßen wieder gesundet war und mein Gemüt sich soweit wieder gefestigt hatte, um unangenehme Nachrichten verkraften zu können. 
Obwohl ich es bereits geahnt hatte, traf es mich wie ein Schlag. Meine Welt brach für mich zusammen, in der es immer eine gerade Linie gegeben hatte, die durch die Fußstapfen meines Vaters vorgezeichnet gewesen war. Ihnen war ich bis zu jenem Tag gefolgt. Nun aber war ich gezwungen worden, von nun an unbekanntes Terrain zu betreten, obwohl ich dafür nicht bereit gewesen war. Ich fürchtete mich davor und meine Gedanken hatten sich mehr als einmal darum gedreht, mich einfach in meinen Gladius stürzen zu wollen, um dem Elend zu entgehen, welches nun vor mir lag und von nun an mein Leben sein sollte.

In einem Wagen liegend brachte man mich nach Iscalis, zum Haus meines Vaters. Da mein Vater zwei Jahre zuvor verstorben war, lebten dort nur noch meine Mutter, Naevia Calida und unsere Sklaven, über die sie mit strengem Blick wachte. Als man ihr die Nachricht von der Heimkehr ihres Sohnes zugesandt hatte, hatte sie alles herrichten lassen. Zwei kräftige Sklaven waren dazu auserkoren worden, mir von nun an Stütze zu sein und mir auch in allen anderen Lebenslagen behilflich zu sein. Wahrscheinlich hatte sie eine leise Ahnung davon, wie es in mir aussah und wie ich mich fühlte. Daher wollte sie nichts unversucht lassen, es mir so angenehm wie möglich zu machen.

Nun, fast sieben Monate später, hatte ich mich zwar wieder in der Casa eingelebt. Aber mit meinem Schicksal haderte ich noch immer. Oft vergrub ich mich stundenlang im Tablinium, um den Nachlass meines Vaters zu ordnen. Auch er war Centurio gewesen und getreu dem ungeschriebenen Gesetz der Legio 'einmal Centurio, immer Centurio', war er nach seiner regulären Dienstzeit der Armee treu geblieben. Zumindest so lange, bis ihn seine Gesundheit dazu zwang, sich endgültig zur Ruhe zu setzen.

Meine Mutter pflegte mich vom ersten Tag meiner Heimkehr an. Sie wachte über meinen Gesundheitszustand und im speziellen über mein Bein und ließ nichts unversucht, meine Situation zu verbessern. So bestand sie darauf,  dass ich täglich meine regelmäßigen Übungseinheiten verrichtete und lernte, zuerst an Krücken und später an einem Stock zu laufen. Ihr Ziel war es, mich zurück ins Leben zu holen.