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Ich wurde aus einem wohlverdienten schlaf gerissen, als die Kutschentür geöffnet wurde und kalte Luft in das dunkle, muffige Gefährt eindrang. Leander, mein treuer, allgegenwärtiger Sklave und verwalter, hatte doch tatsächlich die Dreistigkeit, mich einfach zu wecken, dann auch noch mit den absolut offensichtlichsten Worten aller Zeiten. “Wir sind da.“
“Das seh ich selber“, brummte ich ungehalten und stieg aus der Kutsche. Es nieselte beständig vor sich hin und war kalt. Kein gutes Wetter für meinen Rücken. Vielleicht hätte ich doch besser nach Hispania gehen sollen. Aber dieser Nichtsnutz von Medicus hatte gemeint, das trockene Klima täte meinen Lungen nicht so gut. Auf der anderen Seite hatte eben jener Nichtsnutz von Medicus mir als Kur für meine Lunge auch diverse Kräuter für meine Pfeife verordnet, also war ich mit ihm einigermaßen im Reinen.
Nicht im Reinen war ich mit dem ungastlichen Wetter, weshalb ich mich beeilte, in das kleine Haus zu gelangen, das fortan mein Refugium sein sollte. Meins, ganz allein, fernab von irgendwelchen Bittstellern, Klienten und Verwandten – aufgezählt in steigender Reihenfolge nach Schrecklichkeit. Gut ein ganz entfernter Verwandter sollte hier auch irgendwo wohnen, aber aus dem geadelten Zweig, also bestand wenig Gefahr, dass er hier auftauchen würde.


Ich ließ den Regen also hinter mir und zog mir die Schuhe aus, während Leander mir in die Pantoffeln half. Nur ein Barbar ging mit Schuhen im Haus herum, und auch, wenn ich Rom entflohen war, gewisse Standards waren dann doch einzuhalten.
“Soll ich dir das Haus zeigen, während die Sachen abgeladen und eingeräumt werden?“ fragte Leander dann auch gleich, und mit einem Brummen ging ich los, was für ihn Aufforderung genug war, fortzufahren. “Wie du wolltest habe ich auf den größten Prunk verzichtet. Hier das Atrium hat ein Impluvium, wo wir auch ein paar Fische einsetzen könnten...“ “Fische?“ “Ja, Fische. Karpfen vielleicht.““Wieso sollten wir Karpfen halten?“ “Na, zum Essen?““Ich mag aber keinen Karpfen!“ “Wir können auch andere Fische...“ “Ich mag keine Fische!“
Leander seufzte, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass wir bald Fische haben würden. Gut, hier drüben sind dein Schlafzimmer, und zwei Gästezimmer...“ “Brauchen wir nicht, ich will keine Gäste.“ “… hier ist die Bibliothek für deine Studien.“ Oh ja, endlich mal etwas, das ich haben wollte. Ich schaute in den noch leeren Raum hinein, der schön groß gestaltet war. Durch die Tür zum Atrium würde viel Licht einfallen. Ja, so lobte ich mir das. Aber Leander hatte eine Seite ausgelassen. “Und das da?“ “Was da? Oh, du meinst das Tablinum?“ “Wieso habe ich ein Tablinum?“ “Um Klienten zu empfangen?“ Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben. “Welche Klienten? Ich hab diese Schmarotzer alle zurückgelassen!“ “Ja, aber du wirst doch sicherlich neue annehmen?“ Meine Augen wurden immer größer. Hatte Leander mir denn nicht zugehört, als ich ihn von meinem Wunsch in Kenntnis gesetzt hatte, Rom zu verlassen? Hatte er sich die gründe nicht angehört? “Oder die Menschen, die deinen rechtlichen Rat suchen? Die musst du doch empfangen?“ “Warum sollte irgendwer meinen rechtlichen Rat hier suchen?“ “Weil du einer der größten Rechtsgelehrten Roms bist, dein Ruf dir vorauseilt, niemand die römischen Gerichte so kennt wie du, niemand solch vernichtende Gerichtsreden gehalten hast wie du in der Anklage gegen Lucius Baebius Tamphilus und diese Provinz sicher nie wieder eine solche Gelegenheit haben wird.“
Er schmeichelte mir. Ich wusste es. Ich schaute ihn auch streng an. Aber das schlimme war, er war erfolgreich damit. Also brummelte ich nur vor mich hin und ließ mich weiter rumführen.
“So, hier ist dann das Triclinum, und dort noch die Culina und die Latrine.“ “Moment, die was?“ “Die Latrine? Du willst doch nicht immer die öffentlichen Latrinen aufsuchen müssen?“ “Nein, ich mein nicht die götterverdammte Latrine. Die Culina! Wieso haben wir eine Culina?“
Leander schaute etwas verständnislos. “Um essen zu kochen?“


Das war der Moment, wo ich mich fragte, ob Selbstmord oder Mord die bessere Option wäre. Ich atmete durch und kniff mir mit zwei Fingern in die Nasenwurzel, um mich zu beruhigen. “Lass mich die Frage anders formulieren: Wieso hast du ein Haus mit Culina gekauft, anstatt eines ohne, und wir holen unser Essen einfach von dem nächstliegenden, besseren Thermopolium?“ “Weil du ein anspruchsvoller Esser bist und nicht alles magst, und weil das nicht geht, wenn du einen Gastempfang gibst, um die Gäste zu bewirten.“


Mord. Eindeutig war Mord die bessere Option. Ich sah Leander an, als wäre er einer der stymphalischen Vögel oder etwas ähnlich schauderhaftes, das mir das Fleisch von den Knochen ziehen wollte. Dann explodierte ich: “Ich werde hier keine Gäste bewirten! Ich will keine Verwandten im Haus und keine Klienten! Ich will hier einfach nur in Ruhe meine Bücher schreiben, wie ich mir schon seit zwanzig Jahren vornehme, und meine Pfeife rauchen! Sonst nichts!“
Ja, das war jetzt nicht unbedingt die stoische Gelassenheit, derer ich mich sonst gerne rühmte, zumindest in der Öffentlichkeit. Aber bei Minerva, jeder Mensch hatte grenzen. Ich wollte doch nur in Ruhe meinen Lebensabend genießen und rauchen. War das wirklich zu viel verlangt?


Leander tat schuldig, aber ich wusste, er fühlte sich mitnichten schuldig. “Ich sollte dich an die Minen verkaufen. Nur dass du es weißt. Die haben hier Minen! Ich habe mich erkundigt. Das wäre eine gerechte Sache, niemand würde sich bei mir beschweren, jawollja!“ Ja, ich war gerade sowas von nicht stoisch.
“Aber wer würde dir dann dein Pfeifenkraut bringen, Seneca?“
Ich brummelte, machte eine wegwerfende Handbewegung. Um uns herum hatten diverse Menschen angefangen, Möbel hereinzuschleppen. Ich hielt zwei Sklaven an, die meinen Sessel gerade schleppten, und beorderte sie in das, was mal meine Bibliothek werden sollte. Ich wollte mich da jetzt hinsetzen und Pfeife rauchen. Wenigstens irgendwas, um meine Nerven zu beruhigen!
So langsam nahm das hier wohnliche Gestalten an. Ich hatte keine ahnung, wie der Rest des Hauses im Moment aussah, da ich mich in die Bibliothek verkrochen hatte und meine Pfeife angesteckt hatte, so dass schon bald der Geruch nach Kräutern und Hanf durch den kalten Raum waberte. Außerdem hatte ich mir eine Decke bringen lassen. Ich war zwar nicht verweichlicht, aber bis das Feuer lief und hier alles geheizt war, war es hier kalt und nass und ich wollte nicht krank werden.
So saß ich also auf meinem Lieblingssessel und sah zu, wie um mich herum Regale errichtet wurden und langsam befüllt wurden. Natürlich nicht ohne meine gutmeinenden Anweisungen. “Nein, doch nicht dorthin, das muss nach da drüben!“ "Du kannst doch nicht den Archimedes neben Aruleius Caelius Sabinus stellen?!" "Sind das die Bücher über das Pontificalrecht von Ateius? Nein, nicht jetzt, bring sie dorthin. Und die Schriftrolle dort zu mir!“
Ich vertrieb mir die Zeit ein wenig mit dem guten, alten Cicero, der zwar kein so rühmliches Ende hatte und auf der falschen Seite der Geschichte gestanden hatte, dessen Reden gegen Verres aber doch für einen Rechtsanwalt sehr unterhaltsam waren. Ich war noch nicht weit gekommen und las gerade nochmal die ergreifende Geschichte des Römers, den Verres aus Gewinnsucht hatte kreuzigen lassen – ein juristisches Fressen! - als Leander hereinkam und missbilligend auf die Pfeife guckte. “Du bist schlimmer als mein Weib, weißt du das?“ brummelte ich und nahm erst recht einen paffenden Zug.
“Ich mag den Geruch nicht, gebe ich zu“, meinte er und kam ohne Aufforderung näher. Ich gestattete ihm definitiv zu viel Freiheiten. “Ich werde morgen versuchen, eine Köchin zu finden, und mich erkundigen, wo man hier gute Sklaven kaufen kann.“
“Wofür das denn?“
“Naja, jemand muss auch kochen?“
“Ja, die Leute betreiben Thermopolia! Die wollen auch Geld verdienen, schonmal daran gedacht? Aber warum willst du Sklaven kaufen? Wir haben doch welche mitgebracht? Fünf, oder so.“ So genau hatte ich nicht nachgezählt.
“Ja, aber wir brauchen noch ein paar, insbesondere ein paar Frauen.“
Vor Schreck fiel mir fast die Schriftrolle aus der Hand. “Warum bei Minerva das denn?“ Ich war grade erst meinen undankbaren Töchtern und der Ehefrau entkommen, da wollte Leander mir wieder Weiber ins Haus bringen!
“Naja, für die Dinge, die Sklavinnen halt so tun? Putzen, Betten machen, in der Küche helfen...“
“Dir das Bett wärmen wohl eher… Gib es ruhig zu! Ich kenn dich alten Halunken! Ich will keine Frauen im Haus. Die sind nur anstrengend, heulen rum, kriegen Kinder und machen Dreck.“ Ich wollte mich grade wieder meiner Schriftrolle widmen, als ich merkte, wie Leander mich eindringlich anstarrte. Ich schaute zurück. “Nein hab ich gesagt! Das Gekicher und Getrappel stört meine Konzentration! Wenn du Druck hast, geh wie jeder vernünftige Mann ins Lupanar!“ So schwer war das doch nicht und er bekam doch genug Geld.
“Aber manche von den anderen wollen feste Partnerinnen. Und außerdem ist der Umgang freundlicher, wenn Frauen anwesend sind.“
“Ach, pah, Umgang. Sollen sie sich halt Mädchen suchen, das interessiert mich nicht. Aber doch nicht hier im Haus!“ Leander guckte immer noch so. Sturer Bock. “Ich will nicht gestört werden bei meinen Studien und beim Schreiben, hörst du?“
“Wirst du nicht“ sagte er, und ich hatte das Gefühl, dass hier bald einige hübsche, knackige Hintern durchs Haus hüpfen würden und sehr wohl ablenken würden.
Mittlerweile zwei Tage brauchten sie schon, um alles einzurichten. Wie lange konnte es dauern, Möbel an die passende Stelle zu befördern und einen laufenden Betrieb zu gewährleisten? Wenigstens war die Bibliothek nun soweit bestückt, dass ich mich dorthin zurückziehen konnte, und wenn ich ganz fest so tat, als würde ich das Hämmern und Klopfen nicht hören, konnte ich sogar etwas lesen und meine Gedanken sortieren. Womit sollte ich anfangen? Es gab so vieles, über das ich schreiben wollte, so viele Kommentare, so viele Überlieferungen für zukünftige Rechtsgelehrte, die irgendwann mein Werk als Standardnachschlagewerk benutzen sollten! Nur wo fing man da am besten an? Römische Rechtsprechung war nicht einfach, da jeder Kaiser neuerdings meinte, selber eine Anmerkung zu einem Gesetz zu machen und den Gerichten in die ohnehin schon komplizierte Arbeit zu pfuschen. Ja, manchmal sehnte ich mich in die gute, alte Zeit zurück, bevor Augustus auf die Idee kam, sich selbst zum Kaiser zu machen. Da fragte man sich, was passiert wäre, wenn diese hoffnungslose, selbstverliebte Bande um Pompeius Magnus und Iunius Brutus Erfolg gehabt hätte. Na, vermutlich hätten wir dann andere, selbstverliebte Gesetze.

Ah, selbstverliebte Diktatoren! Ich sollte mit Sulla anfangen! Ja, genau, seine Lex über Giftmischer und Messerstecher, das war doch etwas schönes. Geradezu entspannend! Ich suchte also gerade im Regal nach meiner Abschrift der von Cornelius Sulla erlassenen Vorschriften, als Leander hereingeschlendert kam und mich mit diesem bestimmten Blick ansah, den ich auf die Entfernung schon alarmierend fand.
“Was ist? Seid ihr bald fertig, oder brauchen wir erst noch Vögel im Tablinum oder sowas?“ fragte ich gereizt. Nach den angedrohten Fischen und Sklavinnen, wäre doch ein Haufen kreischender und dreckschleudernder Untiere sicher genau nach Leanders Geschmack.
Er unterdrückte ein grinsen, ich wusste es genau, als er seine Hände faltete. Verdammt, das war nie ein gutes Zeichen. “Ein Nachbar hat einen Willkommenskorb vorbeigebracht“, sagte er.
Inzwischen hatte ich die gesuchte Schriftrolle gefunden und zog sie vorsichtig heraus. “Jaja, übermittle meinen Dank und all das“, winkte ich genervt ab. Normalerweise sollte Leander das selbständig machen, als mich mit solchem Firlefanz zu belästigen.
“Er hat dir auch eine Einladung zukommen lassen.“
“Die du hoffentlich höflich abgelehnt hast?“
“Die ich sehr höflich angenommen habe.“
Das war es also! Darum schlich er hier so rum! Ich schaute ungehalten. “Und was veranlasst dich zu sowas? Wenn ich keine Gäste hier haben will, will ich auch sicher nirgendwo anders Gast sein“, brummelte ich. Nein, das gefiel mir nicht. Er würde es absagen müssen!
“Er ist ein Bewunderer deiner Rechtsschriften und würde sich sehr freuen, wenn du seine Ausgabe deines Kommentars zur Lex Aelia Sentia mit ihm besprechen oder signieren könntest“, sagte Leander ruhig.
Ich stutzte einen Moment, und ging dann brummelnd mit meiner Schriftrolle zu meinem Sessel, um mich hineinzusetzen. Wo war meine Pfeife? Ich schaute mich um, als Leander sie mir auch schon unter die Nase hielt. Energisch nahm ich sie ihm ab und schob sie in meinem Mundwinkel. Ich brauchte bald eine neue, das Holz am Mundstück hatte schon einige Einkerbungen von meinen Zähnen.
“Und er ist Princeps Officii.“ Ich schnaubte. Leute, die ihre Posten vor sich hertrugen, gab es in Rom wie Sand am Tiberufer. Und die meisten davon versteckten sich dahinter. Und trotzdem musste man dem Amt immer Ehrung entgegenbringen, auch wenn der, der es ausfüllte, manchmal ein ausgemachter Trottel war. Aber immerhin bestand keine Gefahr, dass der Furier einer von den Trotteln war, die mit dem Kaiser verwandt waren und deshalb diesen Posten hatte, was zumindest die Hoffnung aufkeimen ließ, dass er ganz normal tüchtig sein könnte.
“Weshalb du in drei Tagen nach der neunten Stunde dort hingehen wirst.“
Ich sah Leander finster an. “Da habe ich einen Großbrand, einen Bürgerkrieg mit gleich vier Kaisern und Straßenschlachten in Rom, einen Mordanschlag und eine Ehefrau erlebt, nur damit du mir jetzt mit sowas ankommst! schimpfte ich. Und ja, diese Dinge waren nach steigender Schrecklichkeit sortiert. Ich steckte meine Pfeife an und paffte ein paar Züge. Das Kraut darin beruhigte mich und mein Gemüt, zumindest ein wenig.
“Aber ich werde kein Gastgeschenk oder solchen Firlefanz mit mir mitschleppen, hörst du?!“